Thema des Tages

12-08-2021 08:50

(Sub-)Tropisches Ungemach am Schwarzen Meer

In den kommenden Tagen könnte über dem Schwarzen Meer ein
tropen-ähnlicher Wirbelsturm entstehen, der regional für heftige
Regenfälle und Sturm, im schlimmsten Falle sogar für Orkanböen sorgt.


Das Wetter im Umfeld des östlichen Schwarzen Meeres gestaltet sich
schon seit einigen Tagen unbeständig. Immer wieder entwickeln sich
Schauer und Gewitter mit örtlich heftigem Starkregen. Das ist während
des Sommerhalbjahres allerdings noch nichts, was einen aus den
Latschen haut. Immerhin befinden wir uns dort auch abseits des an der
unmittelbaren Küste herrschenden Seeklimas in einem humiden
(feuchten) Kontinentalklima, das prinzipiell ganzjährig Niederschläge
zulässt. Doch in den kommenden Tagen zeichnet sich eine Entwicklung
ab, die dann doch eher Seltenheitswert hat: ein tropen-ähnlicher
Sturm.

Verantwortlich für die rege Schauertätigkeit zeichnet sich ein
Höhentief, das sich von der "Westwindautobahn" der mittleren Breiten
löste, über dem Schwarzen Meer nun sich selbst überlassen ist und
dort folglich ziemlich "unmotiviert" seine Kreise zieht. Da sich mit
dem Höhentief Kaltluft über das sehr warme Meereswasser bzw. die vom
Meereswasser stark erwärmte Luft schob, stellte sich ein ausgeprägter
vertikaler Temperaturgradient ein. Diese rasche Temperaturabnahme mit
der Höhe ermöglichte vertikale Umwälzungen in Form von Schauern und
Gewittern.

Durch die andauernde Gewittertätigkeit unter dem sich kaum
verlagernden Höhentief wird die Luft nun immer feuchter, zum einen.
Zum anderen wird in den Gewittersystemen Luft vom Boden in die Höhe
und dort aus dem Areal nach außen weg befördert, sodass der Luftdruck
über der Meeresoberfläche sinkt. Da zudem mit einer Abnahme der
Windscherung zu rechnen ist (kaum Änderung von Windgeschwindigkeit
und -richtung mit der Höhe), können sich die Schauer und Gewitter
unbehelligt - ohne dass sie durch starke Höhenwinde zerrissen oder
verschleppt werden - um das entstehende Tief herum anordnen und es
nochmals deutlich verstärken. Die immer schneller um den eher
wolkenarmen Tiefkern rotierende "Gewitterspirale" würde damit nicht
nur optisch einem tropischen Wirbelsturm ähneln. Auch thermodynamisch
hätte das System mit seinem warmen Kern bei gleichzeitiger
Abwesenheit von Warm- und Kaltfronten frappierende Ähnlichkeit mit
einem tropischen Sturm. Der einzig stichhaltige Unterschied wäre die
Korrespondenz mit einem (kalten) Höhentief und die abweichende
Entwicklung aus einem außertropischen System heraus.

In der Fachliteratur werden solche Systeme auf vielfältige Art und
Weise beschrieben. Gängig sind die Bezeichnungen "tropen-ähnlicher
Sturm" (von "tropical-like cyclone", engl.) und "Subtropensturm",
auch "Medicanes" im Mittelmeer werden dieser Klasse von
meteorologischen Phänomenen zugeordnet. Über dem Schwarzen Meer
werden tropen-ähnliche Stürme eher selten beobachtet. Dem European
Severe Storms Laboratory (ESSL) zufolge traten zwischen 1982 und 2006
lediglich zwei Tropenstürme oder tropen-ähnliche Stürme auf, also im
Schnitt nur etwa alle 10 Jahre. Ein tropen-ähnlicher Sturm in
Hurrikanstärke (mit Orkanböen) wurde noch nicht dokumentiert.

Ob der sich nun anbahnende Sturm Hurrikanstärke erreicht, ist völlig
unklar und nach aktuellem Stand auch eher unwahrscheinlich. Durch das
extrem warme Wasser des Schwarzen Meeres (mit verbreitet 26-28 Grad 2
bis 4 Grad wärmer als im vieljährigen Mittel) steht dem Sturm
zumindest aber ungewöhnlich viel Energie zur Verfügung. So oder so
besteht rund um das östliche Schwarze Meer und das Asowsche Meer
(Küstenregionen in Südrussland, Südukraine und Georgien, später auch
in der Nordtürkei) bis zum kommenden Wochenende und darüber hinweg
hohe Starkregen- und Sturmgefahr. Im allerschlimmsten Fall sind
örtlich mehrere Hundert Liter Regen pro Quadratmeter mit
Überschwemmungen und Erdrutschen sowie Orkanböen und Sturmfluten zu
befürchten. Mit Blick auf die aktuellen Modellergebnisse für die
Niederschlagssumme (siehe Grafik auf
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/8/12.html) scheint
insbesondere ein Korridor zwischen den Städten Kertsch/Krim,
Krasnodar und Rostow (Russland) im Fokus zu stehen.

Dipl.-Met. Adrian Leyser
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 12.08.2021

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst