Thema des Tages
07-07-2021 07:50
Vor 94 Jahren
Am 8. Juli 1927 ereignete sich im Osterzgebirge eine der
verheerendsten Hochwasserkatastrophen der deutschen Vergangenheit.
Dabei fielen innerhalb kürzester Zeit über 200 Liter Regen ? wie
konnte es zu diesen enormen Regensummen kommen?
1927 ist ein wahrlich ereignisreiches Jahr: Schriftsteller Günter
Grass und der ehemalige Papst Benedikt XVI erblicken das Licht der
Welt, Charles Lindbergh wird in Paris von Menschenmassen bejubelt,
nachdem ihm der erste Nonstop-Transatlantikflug im Alleingang
geglückt ist, die Urknall-These wird vorgestellt, der deutsche
Reichstag beschließt die Einführung des Arbeitslosengeldes und last
but not least wird der "Revisionsverband der
Westkauf-Genossenschaften" gegründet, den kulinarischen Freunden wohl
besser bekannt als REWE.
Morgen vor 94 Jahren, also am 8.7.1927 ereignete sich hingegen ein
überhaupt nicht feierwürdiges Geschehnis im Osterzgebirge: Der
Freitag startet ruhig, neben ein paar harmlosen Wölkchen scheint die
Sonne. Doch schon bald werden die Wolken mächtiger und gegen Mittag
grummelt es am Himmel. Von da an nimmt die Tragödie ihren Lauf:
Heftige Gewitter mit extrem starken Niederschlägen ziehen aus Böhmen
über den Erzgebirgskamm und verursachen innerhalb kürzester Zeit ein
rasantes Ansteigen der Flusspegel. Die Gottleuba (Nebenfluss der
Elbe) verbreitert sich von ihren sonst üblichen drei Metern auf etwa
100 Meter. Auch die Müglitz, normalerweise ebenfalls ein ruhiges
Flüsschen, wird zum reißenden Strom (mit einem Abfluss von 330 m³/s
statt den üblichen 40 m³/s). Wolkenbrüche sorgen in weniger als einer
halben Stunde für 113 Liter Regen pro Quadratmeter, innerhalb weniger
Stunden fallen 226 Liter. Weitere Daten sind nicht bekannt, da
mehrere Messstationen den Regenmassen zum Opfer fielen. Wer die
Hoffnung hatte, dass sich die Unwetter nachts auflösen würden, hatte
weit gefehlt: Sie setzten sich regelrecht am Erzgebirge fest und
hielten bis zum nächsten Tag an.
Die traurige Bilanz: Etwa 160 Tote, Sachschäden von über 100 Mio.
Reichsmark (ca. 330 Mio. Euro) und weitere nicht-monetäre Schäden,
die sich kaum in Zahlen ausdrücken lassen? Da stellt sich zurecht die
Frage: Wie konnte es dazu kommen und warum ist häufig Sachsen vom
Hochwasser betroffen?
Derartige Hochwasser wie am 8.7.1927 oder beim Jahrhunderthochwasser
2002 sind auf eine sogenannte Vb (sprich: "fünf b")-Wetterlage
zurückzuführen. Dabei bildet sich im Golf von Genua ein
Tiefdruckgebiet, wenn kalte Luftmassen über Westeuropa in den warmen
Mittelmeerraum vordringen. Das sich intensivierende Tief wird dann
mit der Höhenströmung über Oberitalien hinweg in einem Bogen um die
Alpenostseite herum weiter nach Norden in Richtung Tschechien und
Polen geführt.
Auf der Vorderseite des Vb-Tiefs wird warme und feuchte
Mittelmeerluft angesaugt und um das Tief herumgeführt. Diese
Mittelmeerluft gleitet dann auf die kältere Luft auf der
Tiefrückseite auf. An der Grenze dieser beiden Luftmassen kommt es
oft zur Bildung stärkerer Niederschläge. Da Sachsen bei dieser
Wetterlage meist an die Westflanke des Tiefs gerät, werden die
Luftmassen von Norden gegen das Erzgebirge gedrückt. Dieser
"Staueffekt" und eine abnehmende Zuggeschwindigkeit des Tiefs führen
dann dort oft zu langanhaltenden, kräftigen Regenfällen.
Es scheint wie ein seltsamer Zufall, dass sich auch am morgigen 8.
Juli ein kleinräumiges Tief bilden soll, zwar über Österreich und
damit nicht in klassischer Vb-Manier, aber ebenfalls über Tschechien
Richtung Polen ziehend. Allerdings deutet die Mehrheit der
Wettermodelle die stärksten Niederschläge in diesen beiden
Nachbarländern an, sodass der diesjährige 8. Juli glücklicherweise
(hoffentlich) nicht in die deutschen Wetter-Annalen eingehen wird.
Dipl.-Met. Magdalena Bertelmann
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 07.07.2021
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