Thema des Tages
28-06-2021 09:50
Sumpflage
Das heutige Thema des Tages erklärt, warum die Prognosen für die
kommenden Tage so knifflig sind.
Der Ausblick auf die kommende Woche ist eine Freude für alle
"Stormchaser" (chaser = Verfolger), denn die Wetterlage liefert in
den kommenden Tagen praktisch überall in Deutschland reichlich
Potential für zum Teil kräftige Gewitter.
Mit ein Grund dafür ist die Druckverteilung über Mitteleuropa.
Zwischen hohem Luftdruck über dem Nordatlantik und tendenziell eher
tiefem Luftdruck über Nordosteuropa sind die Luftdruckgegensätze über
Mitteleuropa schwach ausgeprägt. Immerhin: Ein flaches, also nur
schwach ausgeprägtes Tief (XERO) erstreckt sich heute (Montag, 28.6.)
vom Ärmelkanal bis nach Deutschland und weist dabei gleich mehrere
Kerne auf. Es zieht in den kommenden Tagen zögerlich über Deutschland
hinweg nach Osten. Dabei suggeriert das Wort "ziehen" fast schon zu
viel an Dynamik. Im Grunde trödelt XERO auf seinem Weg wo es nur geht
und erreicht folglich Polen und das Baltikum erst am kommenden
Donnerstag. Es scheint, als lege XERO mehr Wert auf Metamorphose. So
ändert sich XEROs Form permanent, und auch die Ausprägung und Lage
der Kerne ist ein ständiges, diffus-nebulöses Wechselspiel. Solche
Wetterlagen mit schwer greif- und vorhersagbaren flachen
Tiefdruckgebieten werden von uns Meteorologen gerne als "Sumpflagen"
bezeichnet - wenn sie in Verbindung mit feuchter-labiler Luft
auftreten, was aktuell der Fall ist.
Für eine verlässliche Prognose des Wetters hofft man dann auf klare
Strukturen in der mittleren und höheren Atmosphäre. Diese können
mitunter das Manko ausgleichen, dass man keine präzisen Aussagen über
die Entwicklung des Drucks am Boden treffen kann. Allein: In der
aktuellen Lage könnte man etwas despektierlich behaupten, dass auch
diese Prognosen mehr Fragen aufwerfen, als dass sie Antworten
liefern.
Zumindest eines ist beim Blick auf die Situation in der mittleren
Atmosphäre klar: Unser Wetter wird in den kommenden Tagen von einem
Höhentief beeinflusst. Dieses ist heute noch im Bereich der
Loiremündung zu finden. Aber: Das Höhentief entpuppt sich als
Seelenverwandter von XERO und somit gehört "Geschwindigkeit" nicht zu
seinen Kernkompetenzen. Mehr noch - auch seine Form und Lage lässt
sich von den Vorhersagemodellen nur schwer fassen.
In der beigefügten Grafik
(https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/6/28.html) sind
auf der linken Seite das Geopotentialfeld sowie die Temperatur in
etwa 5,5 km Höhe für den kommenden Donnerstag um 14 Uhr MESZ
dargestellt, oben vom Modell IFS des Europäischen Zentrums für
Mittelfristige Wettervorhersage, unten vom Modell ICON des Deutschen
Wetterdienstes. Wir sehen das Höhentief als "schiefe Murmel", es
erstreckt sich bei IFS vom östlichen Ärmelkanal bis nach Böhmen, bei
ICON dagegen vom Kattegat bis nach Österreich. Deutliche Unterschiede
ergeben sich aber auch bei der Temperaturverteilung. Laut des
DWD-Modells ICON sollen die entsprechenden Werte in 5,5 km Höhe über
dem Kattegat bei etwa -20°C, laut IFS dagegen nur bei -12°C liegen.
Da beide Größen Einfluss auf die Hebungsprozesse und damit auf
mögliche Schauer und Gewitter haben, lassen sich auch aus der
Höhenkonfiguration keine präzisen Vorhersagen ableiten.
In gewisser Weise ist die Situation also doppelt misslich. Und die
"doppelt-misslichen Prognosen" sind dann in Form des bis in die Nacht
zum Samstag akkumulierten Niederschlages (rechte Seite der Grafik;
oben: IFS, unten: ICON) dargestellt. Besonders auffällig ist
natürlich der Nordosten. Während ICON bis in die Nacht zum Samstag
südlich der Mecklenburgische Seenplatte über 100 l/qm an Regen
simuliert, sind es bei IFS nur etwa 20 l/qm. Ähnlich, wenn auch mit
umgekehrten Vorzeichen, präsentiert sich die Situation in
Nordfriesland. Dort fällt, wenn man ICON glauben möchte, praktisch
kein Regen, während IFS dort um 50 l/qm andeutet.
Festzuhalten bleibt: Sumpflagen stellen die Meteorologen und ihre
Modelle immer wieder vor große Herausforderungen. Wie Sie sehen, ist
dies auch aktuell der Fall. Die Prognosen für die kommenden Tage sind
noch sehr unsicher, und die Modelle werden uns noch einige
interessante Vorschläge zur Entwicklung des Wetters machen.
Dipl.-Met. Martin Jonas
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 28.06.2021
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