Thema des Tages
27-06-2021 10:50
Die "Lechtalerin" - Ein Gewittermonster im Alpenvorland
Vergangene Woche sorgten im Alpenvorland Superzellen an zwei
aufeinanderfolgenden Tagen für Aufsehen - die "Lechtalerin" schlug
wieder zu.
Gewitter gehörten im diesjährigen Juni zum Wetter dazu wie das "Amen"
in der Kirche. Fast täglich brachten Unwetter irgendwo in Deutschland
heftigen Starkregen mit Überschwemmungen. Hagel verursachte Schäden
an Autos und der Vegetation und bescherte manchen Orten eine weiße
Landschaft wie im Winter. Sturmböen knickten Bäume um und führten zu
Beeinträchtigungen im Straßenverkehr (siehe auch Tagesthema vom
Vortag). Dabei waren sämtliche Gewitterformen anzutreffen - von
nahezu ortsfesten "Wasserbomben" mit sehr kleinräumig enormen
Regenmengen bis hin zu großen Gewitterkomplexen mit einem nächtlichen
Blitzfeuerwerk, verbreitetem Starkregen und Sturmböen. In der
vergangenen Woche bildeten sich im Süden zudem mehrere Superzellen,
die hunderte Kilometer lange Hagelschneisen verursachten. Im heutigen
Tagesthema beschreiben wir die Eigenschaften einer Superzelle am
Beispiel der sogenannten "Lechtalerin".
Schauen wir uns zunächst an, was eine Superzelle so besonders macht.
Superzellen sind rotierende und sehr langlebige Gewitterwolken. Ihr
wichtigstes Merkmal ist die sogenannte "Mesozyklone", ein mächtiger
rotierender Aufwindbereich (Updraft). Er erzeugt am Boden einen
Unterdruck, sodass wie bei einem Staubsauger beständig die warme und
energiegeladene Luft am Boden ansaugt werden und bis an den Oberrand
der Troposphäre (über 10 km Höhe) gelangen kann. Ein typisches
Radarbild einer Superzelle (Lechtalerin vom 21. Juni 2021) sowie eine
schematische Darstellung sind in Abb. (a + b) gezeigt. Dabei sticht
vor allem die hakenförmige Spitze am südlichen Rand der Gewitterzelle
ins Auge. Dort wird die Warmluft angesaugt (siehe Pfeil in Abb. (b))
und auch die Gefahr von möglichen Tornados ist dort gegeben. Knapp
südlich anschließend kommt es im Bereich der absinkenden Kaltluft
(markiert mit blauen Kaltfrontsymbolen) nicht selten zu extremen
Fallböen bis in den Orkanbereich. Zudem ist in Abb. (b) der Bereich
mit dem stärksten Regen und Hagel gekennzeichnet. Sollten Sie also im
Radarbild ein Gewitter dieser Form auf sich zuziehen sehen, sollten
Sie sich schnell in Sicherheit begeben.
Superzellen entwickeln mit der Zeit eine Eigendynamik, die
verhindert, dass die (als Ausgleich zur aufsteigenden Warmluft)
absinkende Kaltluft in den Warmluftbereich eindringt. So wird die
Mesozyklone über mehrere Stunden hinweg mit Warmluft gefüttert. Durch
die Langlebigkeit und die massive Power des rotierenden Updrafts
können Hagelkörner mehrfach in die Höhe geschleudert werden und zu
großen Hagelbrocken heranwachsen. Eine detailliertere Beschreibung
der Merkmale einer Superzelle finden Sie z.B. im Thema des Tages vom
14.7.2019 (siehe unten angefügter Link).
Von Montag bis Donnerstag waren im Süden Deutschlands die Bedingungen
für diese rotierenden Monster ideal. In der unteren Atmosphäre
lagerte eine warme und feuchte Luftmasse, sozusagen der Sprit für den
Motor der rotierenden Mesozyklone. Zudem kam der Wind in Bodennähe
aus östlicher bis nordöstlicher Richtung (was das Ansaugen
begünstigte), drehte bis in eine Höhe von etwa 5 Kilometern um nahezu
180° auf Südwest und nahm dabei deutlich zu. Kurz gesagt, es war
ausreichend Richtungs- und Geschwindigkeitsscherung vorhanden. Dies
ist Grundvoraussetzung für die Entstehung der Rotation im
Aufwindbereich und trägt dazu bei, dass die absinkende Kaltluft nicht
vor die Gewitterzelle gelangt.
Bei diesen Ausgangsbedingungen war es nicht verwunderlich, dass im
Alpenvorland die sogenannte "Lechtalerin" ihre Muskeln zeigte. Sie
hat ihren Namen von ihrer typischen Entstehungsregion im südlichen
Lechtal. Hat sich die Lechtalerin einmal gebildet, zieht sie meist in
einer leichten Rechtskurve über den Ammersee oder Starnberger See
südlich an München vorbei (manchmal auch über München hinweg) und
anschließend weiter ostwärts ins östliche Oberbayern oder südliche
Niederbayern. Diese Zugbahn ist in Abb. (c + d) zu sehen. Dargestellt
ist die Spur der radarbasierten Messung des "vertically integrated
ice content" der Gewitterwolken, ein Maß für die Hagelgröße und
-intensität. Man erkennt gut, dass an zwei aufeinanderfolgenden Tagen
das Gewitter im Allgäu knapp westlich des Lechs entstand, weshalb
beide Gewitter der typischen Lechtalerin sehr nahekamen. Sie zogen
beide über den Starnberger See und südlich an München vorbei, wobei
die Lechtalerin am 21. Juni (Montag) am Abend und jene am 22. Juni
(Dienstag) bereits am Nachmittag entstand. Letztere war die heftigere
von beiden und zog anschließend weiter bis nach Passau. Beide
Superzellen hinterließen eine hunderte Kilometer lange Schneise mit
massiven Ansammlungen von mehreren Zentimeter großen Hagelkörnern. So
war beispielsweise im Radio die kuriose Verkehrsmeldung zu hören,
dass auf der A95 auf Höhe Wolfratshausen "schneebedeckte Fahrbahnen
durch Hagel und ein Baum auf der Fahrbahn" für erhebliche
Verkehrsbehinderungen sorgten. Manche Orte wurden gleich an zwei
aufeinanderfolgenden Tagen vom Hagel betroffen.
Zum Abschluss noch ein kurzer Blick auf die nächsten Tage: Nach einer
kurzen Gewitterverschnaufpause am gestrigen Samstag und heute mit nur
vereinzelten Gewittern, steigt am morgigen Montag im Westen und
Südwesten sowie in den Mittelgebirgen im Tagesverlauf das Potential
für kräftige Gewitter wieder an. Ab dem Abend und in der Nacht zum
Dienstag steht uns wahrscheinlich sogar wieder eine
Schwergewitterlage ins Haus. Von Baden-Württemberg und
Rheinland-Pfalz bis nach Hessen und Franken beschert uns ein
mächtiger Gewitterkomplex unwetterartigen Starkregen und schwere
Sturmböen, anfangs kann es auch größeren Hagel geben.
Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 27.06.2021
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