Thema des Tages

29-08-2016 14:40

Die Macht des Wetters Teil 2 - "Die Invasion am D-Day"

Während des Zweiten Weltkriegs hofften die Alliierten unter Führung
des Oberbefehlshabers General Dwight D. Eisenhower Europa von den
Nazis zu befreien und planten eine Invasion von Südengland aus. Es
sollte die weltweit größte Militäraktion werden und lief unter dem
Decknamen "Overlord". Der erste Tag der Invasion, auch als "D-Day"
(Decision Day) bekannt, hatte zum Ziel, deutsche Stellungen an der
französischen Normandieküste einzunehmen. Allerdings mussten die
Streitkräfte, die sich im Mai 1944 in Südengland sammelten, den
unberechenbaren Ärmelkanal überqueren. Stark wechselhaftes Wetter,
wie es dort häufiger auftritt, hätte zu einem Desaster führen können.


Der Erfolg der Landung in der Normandie hing also maßgeblich vom
Wetter ab. Das Militär verlangte deshalb eine 5-Tage Prognose für den
D-Day, was auch heute noch in Regionen mit sehr variablem Wetter nur
begrenzt möglich ist. Im Jahr 1944 war die Wettervorhersage für den
nächsten Tag bereits schwierig. Zwar wurde damals schon sehr
wissenschaftlich gearbeitet, allerdings fehlte es an flächendeckenden
Messungen sowie moderner Technik wie Wetterradar und
Fernerkundungsdaten von Satelliten. Per Fernschreiber wurden
Wettermeldungen von Messstationen und Schiffen mühsam übermittelt und
händisch auf Wetterkarten eingetragen. Hauptverantwortlich für die
Wettervorhersage war der Chefmeteorologe von Eisenhower, James Martin
Stagg, der zusammen mit drei in Großbritannien ansässigen
Wetterdiensten diese nahezu unmögliche Aufgabe meistern sollte. Kein
Wunder also, dass die Vorhersage für den Ärmelkanal am D-Day als die
wohl wichtigste Wetterprognose in die Weltgeschichte einging.

Häufige Konflikte ergaben sich zwischen Stagg und dem führenden
Meteorologen der US-amerikanischen Heeresflieger Irving P. Krick, dem
Gründer und damaligen Dekan einer der landesweit ersten
meteorologischen Fakultäten am Institut für Technologie in
Kalifornien. Krick bediente sich des sogenannten "Analogverfahrens",
welches er selbst ausgearbeitet hatte. Dieses beruhte auf der
statistischen Auswertung historischer Wetterdaten an der
Erdoberfläche. Dabei fand man heraus, dass sich gewisse Wettermuster
zufällig wiederholten. Demnach wurde angenommen, dass das Wetter der
nächsten fünf Tage dem am nächsten kommenden historischen Vorbild
folgen würde. Auf der Basis dieses Verfahrens lieferten die
amerikanischen Heeresflieger präzise formulierte Vorhersagen für die
nächsten 5 Tage, was zum Unverständnis der britischen Wetterdienste
beitrug. Stagg, der das äußerst wechselhafte britische Wetter gut
kannte, stand der Langzeitprognose ebenfalls kritisch gegenüber.
Zudem übernahm Stagg im meteorologischen Team die Funktion eines
Obersts, dem sich Krick unterzuordnen hatte, was für weitere
Spannungen zwischen den beiden Meteorologen sorgte.

Aufgrund der Gezeiten entschied man sich im Mai 1944, den D-Day auf
den Morgen des 5. Juni zu legen. Ebbe war eine der
Grundvoraussetzungen des Militärs für eine erfolgreiche Landung, da
so vom Feind installierte Unterwasserhindernisse am exponiertesten
lagen. Zusätzlich hatte jede Truppengattung in den Reihen der
Alliierten ihre eigene Vorstellung vom "optimalen" D-Day-Wetter: Das
Heer wünschte sich für die schweren Fahrzeuge einen tragfähigen,
trockenen Untergrund, was Regen in den Tagen vor der Invasion zum
Problem machte. Morgennebel würde die Sicht der Fallschirmjäger
behindern, die Sichtweite sollte mindestens 5 Kilometer betragen. Für
die Marine durfte der mäßige auflandige Wind 20 km/h nicht
überschreiten, Windstille barg dagegen die Gefahr von Nebelbildung
und Gasangriffen, zudem durfte es wegen der Anfahrt der
Landungsschiffe wenige Tage vor dem Einmarsch keinen Sturm geben.

In den Tagen vor der Großoffensive wichen die Vorhersagen der drei
Wetterdienste für den D-Day stark voneinander ab. Aufgrund einer
Reihe von Tiefdruckgebieten über dem Atlantik, die Kurs auf die
Britischen Inseln nahmen, ging einer der britischen Wetterdienste von
stürmischem und regnerischem Wetter aus, ein anderer warnte vor
Gewittern. Krick hingegen prognostizierte mit seinem Analogverfahren,
dass sich das Azorenhoch nach Norden ausweiten und so die Stürme nach
Norden ablenken würde. Entsprechend sagte sein Team ruhiges Wetter
für die gesamte erste Juniwoche vorher. Da sich die Aussichten immer
weiter verschlechterten, je näher der D-Day rückte, gab Stagg
Eisenhower letztlich die Empfehlung, den Tag der Landung zu
verschieben. Da das Überraschungsmoment beim Angriff auf die
Normandie von grundlegender Bedeutung war und die massiven
Truppenbewegungen durch eine längere Verschiebung Gefahr liefen, von
deutschen Aufklärungsflugzeugen entdeckt zu werden, wurde der D-Day
um nur einen Tag verschoben.

Am 5. Juni bewahrheitete sich Staggs Vorhersage. Eine Kaltfront griff
auf den Ärmelkanal über und sorgte neben starkem auflandigem Wind für
hohe Wellen und Regen mit schlechten Sichtbedingungen, was die
Landung mit großer Sicherheit hätte scheitern lassen. Hinter dieser
Kaltfront bahnten sich jedoch ein vorübergehender
Zwischenhocheinfluss und somit eine kurzzeitige Wetterberuhigung an,
die auch die Meteorologen registrierten, sodass am 6. Juni ein kurzes
Zeitfenster für eine Invasion offen stand. Die deutschen Meteorologen
der sogenannten Zentralen Wetterdienstgruppe, denen, wie sich im
Nachhinein herausstellte, deutlich weniger Wetterinformationen zur
Verfügung standen, prognostizierten hingegen für den 6. Juni
Sturmböen. Somit rechnete niemand im besetzten Frankreich mit dem
Einmarsch der Alliierten.

Der Start der Invasion um Mitternacht am D-Day verlief aber alles
andere als nach Plan. Schlechte Sichtweiten und ein aufgewühltes Meer
sorgten für ungünstige Landebedingungen. Sowohl die
Fallschirmspringer als auch die Flugzeugbomber verfehlten ihre Ziele
aufgrund geringer Sichtweiten um mehrere Kilometer, viele Soldaten
mussten bereits bei der Landung in den Küstenregionen ihr Leben
lassen. Zur Mittagszeit klarte der Himmel dann endlich auf und das
Wetter beruhigte sich, sodass der D-Day trotz tragischer Verluste ein
erster Erfolg für die Alliierten im Kampf gegen die deutschen
Besatzungstruppen werden konnte.

Stagg sollte mit seiner Wetterprognose Recht behalten. Am Ende wissen
sowohl er als auch Eisenhower, dass es richtig war, den Befehl zur
Invasion zu geben. Wer weiß, welchen Lauf die Geschichte genommen
hätte, wenn die Vorhersage des Chefmeteorologen falsch gewesen wäre.

Die Grafik unter
http://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2016/8/29.html zeigt die
händisch gezeichnete Wetterkarte der Zentralen Wetterdienstgruppe des
Generalsstabs der deutschen Luftwaffe vom 06. Juni 1944. Diese wurde
erst vor einiger Zeit in den Archiven des Deutschen Wetterdienstes
gefunden und von der Deutschen Meteorologischen Bibliothek anlässlich
des 70. Jahrestages der Invasion in der Normandie digital
aufbereitet.

MSc.-Met. Sebastian Schappert
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 29.08.2016

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