Thema des Tages
26-02-2021 10:50
Finale Stratosphärenerwärmung naht
Der stratosphärische Polarwirbel hat ja in diesem Winter bereits
mehrmals geschwächelt, nun steht wie in jedem Frühjahr sein finaler
Zusammenbruch bevor. Was das eventuell für Folgen haben könnte, soll
kurz erläutert werden.
Der stratosphärische Polarwirbel (in der mittleren und oberen
Stratosphäre, in Höhen von etwa 23 bis 31 km bzw. 50 bis 10 hPa am
stärksten ausgeprägt) stand ja in diesem Winter mehrmals im
meteorologischen, aber auch medialen Fokus. So haben sowohl die
plötzliche Stratosphärenerwärmung (so genanntes Major warming (SSW),
vollständige Windumkehr der zonalen (West-)Winde auf Ostwinde in 10
hPa, zonal gemittelt auf 60 Grad Nord) am 05.Januar 2021 sowie zwei
weitere Ereignisse mit nahezu vollständiger Windumkehr Mitte Januar
und Anfang Februar zu einer nachhaltigen Schwächung des
stratosphärischen Polarwirbels geführt. Die Folge war ebenso eine
zeitversetzte dynamische Kopplung mit der troposphärischen
Zirkulation, d.h. ein zunehmend negativer Index der Arktischen
Oszillation (AO) und der Nordatlantischen Oszillation (NAO, zu den
Indizes siehe auch
https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/lexikon_node.html). Dies wirkte
sich aus durch vermehrte Kaltluftausbrüche in Nord- und
Nordosteuropa, vorübergehend auch in Mitteleuropa sowie später in
Teilen Nordamerikas.
Jedes Frühjahr wechselt der stratosphärische Polarwirbel von seinem
Winterzustand (mit vorwiegend westlichen Winden) in seinen
Sommermodus mit östlichen Winden, aufgrund saisonaler Veränderungen
der eintreffenden Sonnenstrahlung (Ende der Polarnacht), ein
Ereignis, das als "finale stratosphärische Erwärmung" (FSW) oder auch
Zusammenbruch des stratosphärischen Polarwirbels bekannt ist. Diese
FSW tritt im Mittel um den 12.April ein, Ereignisse davor werden als
frühes, danach als spätes FSW bezeichnet. Die zeitversetzten
Auswirkungen auf die troposphärische Zirkulation sind ähnlich wie bei
winterlichen Stratosphärenerwärmungen, d.h. AO und auch NAO-Index
tendieren zu negativen Werten. Für die Großwetterlage im
atlantisch-europäischen Raum führt das zur Ausbildung von mehr oder
weniger persistent hohem Luftdruck über Grönland, der Arktis, teils
auch vom Nordmeer bis nach Skandinavien (mit meridionalem
Strömungsmuster und folglich Ausfließen von arktischen Luftmassen
relativ weit nach Süden). Diese Konstellation führt in Mitteleuropa
mitunter zu späten Kaltlufteinbrüchen mit Nachtfrösten, oft verbunden
mit länger anhaltendem Hochdruckwetter.
Zusätzlich findet man in der Fachliteratur unterschiedliche
Auswirkungen bezüglich frühem oder spätem FSW. Demnach führt ein
früher FSW zu einem abrupten Nachlassen bzw. auch zu einer Umkehr der
West- auf Ostwinde in der mittleren und oberen Stratosphäre. Damit
wird eine stärkere Kopplung mit der Troposphäre postuliert, die sich
zeitverzögert durch eine höhere Wahrscheinlichkeit längerer Phasen
mit negativem AO-/ und NAO-Index auswirken kann. Die genauen
Zusammenhänge sind aktuell noch Gegenstand von wissenschaftlichen
Studien. In 2021 zeigen die längerfristigen Prognosen des
EZMW-Modells in Reading für den zonalen Wind auf 10 hPa und zonal
gemittelt auf 60 Grad Nord bis Anfang April im Mittel eher
überdurchschnittliche Westwinde, einzelne Ensemble-Member gehen
allerdings teils schon auf Windumkehr zu Ostwinden.
Ein weiterer Faktor zur Persistenz der durch die FSW hervorgerufenen,
eher meridionalen Strömungsmuster ist die relativ starke Erwärmung
der nördlichen Breiten (vor allem der Arktis) in den letzten
Jahrzehnten. Damit schwächt sich der Temperaturunterschied zwischen
niederen und hohen Breiten insgesamt ab und führt in der Folge auch
zu einer saisonal unterschiedlich ausgeprägten Schwächung des
Jet-Streams (siehe auch
https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/lexikon_node.html), der
wiederum die im Mittel zonale (westliche) Strömung über den mittleren
Breiten aufrechthält. Dieser Umstand erschwert mitunter die
(östliche) Verlagerung von Hoch- und Tiefdruckgebieten. Damit können
gerade blockierende Wetterlagen (durch stationäre Hochdruckgebiete
z.B. über Skandinavien) auch mal deutlich länger als normal anhalten.
Einen weiteren globalen Player stellt der ENSO-Zyklus dar, der
einerseits in saisonalem Aspekt, andererseits mit der Tendenz zur
(leichten) Verstärkung von blockierenden Wetterlagen (La Ninja-Phase)
oder aber mehr zonalen (West-) Wetterlagen (EL Nino-Phase) in den
mittleren Breiten in der Fachliteratur erwähnt wird.
In diesem Zusammenhang fällt die seit 2009 in Deutschland
registrierte negative Abweichung (oder Anomalie) des mittleren
Niederschlags im April auf, die teils erheblich ist (siehe Grafik
anbei). Auch hier lohnen sich weitere Studien zu einer eventuellen
Korrelation mit FSW-Ereignissen, aber auch überlagert mit anderen
Faktoren (siehe oben).
In Bezug auf die negative Anomalie des Niederschlags, gerade im April
kann es sich allerdings auch um eine so genannte Dekaden-Variabilität
handeln (siehe negative Abweichung des Niederschlags im Jahrzehnt
seit Beginn der Messungen bis nach 1890).
Zusammengefasst sind sicher komplexe Faktoren bzw. die Wechselwirkung
letzterer für derartige Abweichungen verantwortlich. Nichtsdestotrotz
erscheinen das weitere aufmerksame Verfolgen und auch die
Ursachenforschung in diesem Bereich obligatorisch. Immerhin hat ein
zu trockener April unmittelbare Auswirkungen in Bereichen wie z.B.
Land-, Forst- oder auch Wasserwirtschaft.
Dipl.-Met. Dr. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 26.02.2021
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst