Thema des Tages

19-02-2021 08:50

Verkehrte Welt - der faszinierende Mpemba-Effekt

Gefriert heißes Wasser schneller als kaltes Wasser? - Unter
bestimmten Bedingungen passiert dies tatsächlich. Bekannt ist das
paradox klingende Phänomen als Mpemba-Effekt.

Schnee und Kälte hatten Deutschland bis zum vergangenen Wochenende
über einige Tage fest im Griff. Tagelanger Dauerfrost und teilweise
strenge Nachtfröste im zweistelligen Minusbereich standen fast in
allen Regionen des Landes auf dem Programm. Neben Meteorologen trieb
es wetterinteressierte "Forscher" und Fotografen in die Kälte um
einen faszinierenden als auch wunderschön anzuschauenden Versuch
durchzuführen: Unter freiem Himmel wird heißes Wasser aus einem Glas
oder einer Thermoskanne in die Luft geworfen. Dabei gefriert es, noch
bevor es zu Boden fällt (siehe animierte Bildaufnahme unter:
https://t1p.de/vl40). Führt man diesen Versuch hingegen mit kaltem
Wasser durch, dann gelingt dieser Trick nicht annähernd so gut. Diese
paradox erscheinenden Tatsache, dass wärmeres Wasser unter gewissen
Bedingungen schneller zu Eis wird als kälteres, wird als
Mpemba-Effekt bezeichnet.

Bereits die alten Griechen sind auf dieses Phänomen gestoßen und der
Philosoph und Wissenschaftler Aristoteles erwähnte es bereits im
vierten Jahrhundert vor Christus schriftlich in seinen
Aufzeichnungen. Ihm nacheifernd versuchten vor allem seit der Neuzeit
immer wieder Wissenschaftler der Besonderheit auf den Grund zu gehen,
schafften es allerdings nicht, eine schlüssige Erklärung zu finden.
Zwischenzeitlich ging die Thematik verloren, um 1963 schließlich
wieder aktuell zu werden. Der junge Schüler Erasto B. Mpemba aus
Tansania entdeckte beim Versuch Speiseeis herzustellen diesen
schließlich nach ihm benannten Effekt wieder. Mpemba stellte die
zuvor erhitzte Milch für das Speiseeis direkt in die Kühltruhe. Dort
standen bereits identische Gefäße mit Milch, die bereits deutlich
kälter waren. Dennoch stellte Mpemba fest, dass seine Milch - die
zuvor heiße - zuerst gefror.

Dieser Wettlauf zum Gefrierpunkt zwischen zwei Gefäßen, die mit
unterschiedlich temperierten Flüssigkeiten (z.B. Wasser oder auch
Milch) gefüllt sind, funktioniert allerdings nicht bedingungslos. So
benötigt man die identische Menge an Flüssigkeit. Der
Temperaturunterschied zwischen den beiden Mengen sollte möglichst
groß sein, wobei die Temperatur der kälteren Flüssigkeit nicht zu nah
am Gefrierpunkt sein sollte, da diese sonst einen uneinholbaren
Vorsprung hätte. Zugleich müssen auch Luftdruck sowie Temperatur der
Umgebung identisch sein. Außerdem muss der Versuch in einem offenen
thermodynamischen System stattfinden. Das heißt, die Flüssigkeiten
müssen Energie und Materie mit der Umgebung austauschen können. Unter
diesen Bedingungen lässt sich beobachten, dass das zu Versuchsbeginn
wärmere Wasser schneller gefriert als das ursprünglich kältere
Wasser.

Soweit so gut. Schwieriger wird es bei der genauen Ursachenforschung
des Mpemba-Effektes. In der Wissenschaft existiert eine Vielzahl an
Hypothesen über dieses scheinbare Paradoxon. Die bekannteste
Hypothese sieht die wesentliche Ursache in der Verdunstung. Da der
Dampfdruck (siehe DWD Lexikon) exponentiell mit der Temperatur
ansteigt, nimmt die Menge des wärmeren Wassers durch Verdunstung im
Vergleich zur Menge des kühleren Wassers überproportional ab. Das
bedeutet, mehr heißes als kaltes Wasser verdampft, sodass die Menge
des wärmeren Wassers beim Erreichen des Gefrierpunkts kleiner ist als
die des kälteren Wassers. Da eine geringere Wassermenge weniger Wärme
speichern kann als eine größere, gefriert die ehemals heißere und nun
geringere Menge schneller als die vergleichsweise größere und
ursprünglich kältere.

Neuere wissenschaftliche Ansätze deuten darauf hin, dass etwa im
Wasser gelöste Gase ebenfalls eine Rolle spielen können. Diese
könnten sich auf die Wärmemenge der Wasserprobe auswirken oder die
Wärmeleitfähigkeit der Flüssigkeit verändern, da die Gase und das
Wasser verschiedene thermodynamische Eigenschaften besitzen. Außerdem
ist die Wasserlöslichkeit von Gasen temperaturabhängig. So nimmt etwa
warmes Wasser weniger Gas auf als kaltes, was den Mpemba-Effekt
tendenziell sogar verstärken würde. Insgesamt wird der Einfluss der
Gase in der Wissenschaft jedoch als gering eingeschätzt.

Weitere Untersuchungen geben Hinweise, dass Konvektion eine Rolle
spielen könnte. Eine natürliche Konvektion entsteht durch einen
Wärmegradienten (Temperaturunterschiede) in einer Flüssigkeit.
Betrachten wir erneut unser Gefäß mit heißem Wasser in einer kalten
Umgebung: Dann kühlen zuerst die äußeren Bereiche an den Rändern und
der Oberfläche ab. In der Mitte des Gefäßes behält das Wasser
hingegen am längsten seine Temperatur. Mit diesem Temperaturgefälle
entsteht ein Dichteunterschied. Heißes Wasser hat eine geringere
Dichte als kälteres. Dieser Umstand sorgt für Umwälzungen innerhalb
der Flüssigkeit. Das heißere Wasser in der Mitte bekommt Auftrieb und
drängt nach oben. So setzten sich insgesamt die Wassermoleküle in
Bewegung und es entsteht Konvektion, die wiederum Wärme
transportiert. Je größer der Temperaturunterschiede zwischen Wasser
und Umgebung ist, desto stärker die Konvektion und desto schneller
die Abgabe von Wärme, was wiederum zur Abkühlung führt. Diesen
Umstand macht man sich beispielsweise beim Umrühren seiner heißen
Tasse Kaffee oder Tee zu Nutze, indem man von außen mit dem Löffel
Konvektion simuliert, um ihn schneller abkühlen zu lassen.

Trotz vieler Versuche gibt es bis heute keine universell akzeptierte
wissenschaftliche Erklärung des Mpemba-Effekts. Auch einen sinnvollen
praktischen Nutzen sehen die Wissenschaftler abgesehen vom
Showcharakter in dem Phänomen nicht. Nichtsdestotrotz befassen sich
viele Menschen, sobald es kalt genug ist, mit der "Magie" des
Effektes. Sollte der Winter auch hierzulande noch einmal ausreichend
frostig werden, ist jedoch beim Selbstversuch Vorsicht geboten, dass
man sich nicht am heißen Wasser verbrüht (was so mancher
Videomitschnitt schon gezeigt hat).


M.Sc.-Met. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 19.02.2021

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