Thema des Tages
11-11-2020 09:20
Sauerstoffisotope als Temperaturproxy
Um aktuelle und zukünftige Klimaveränderungen zu verstehen, ist es
unerlässlich, die Klimageschichte der Erde möglichst genau zu kennen.
Mithilfe der stabilen Sauerstoffisotope lassen sich hochwertige
Rekonstruktionen der Temperatur aus Klimaarchiven wie Eisbohrkernen
gewinnen.
Vielleicht haben Sie sich schon bei der Überschrift gefragt was ein
Proxy ist. Dabei handelt es sich um einen indirekten Anzeiger des
Klimas. Beispielhaft dafür stehen Baumringe, die uns das Alter des
Baumes verraten oder Eisbohrkerne, die viele Informationen aus der
Vergangenheit hüten.
Als Isotope werden Atome bezeichnet, die dieselbe Anzahl an Protonen
und Elektronen besitzen, jedoch eine unterschiedliche Anzahl an
Neutronen und somit eine unterschiedliche relative Atommasse
aufweisen. Hinsichtlich ihrer chemischen und physikalischen
Eigenschaften verhalten sich die Isotope eines Elements leicht
unterschiedlich. Stabile Isotope von Elementen, die natürlicherweise
in der Atmosphäre beziehungsweise im Meer vorkommen, können einen
wesentlichen Beitrag zur Rekonstruktion von Temperatur und
Eisbedeckung leisten. Eine besonders wichtige Rolle spielen dabei die
stabilen Sauerstoffisotope (16O und 18O-Isotope) sowie der
zweiwertige Wasserstoff (2H-Isotop), also die beiden Elemente, die
zusammen das Wassermolekül bilden. Die mittlere Häufigkeit für das
leichtere 16O-Isotop beträgt in der Natur 99,8 %. Nur rund 0,2 %
entfallen auf das schwerere 18O-Isotop.
Ändert Wasser seinen Aggregatzustand, also beispielsweise, wenn
Wasser verdunstet oder zu Eis gefriert oder wenn der Sauerstoff aus
dem Wasser in einer anderen Substanz eingebaut wird, dann kann sich
dieses Isotopenverhältnis verschieben. Das Ausmaß der Verschiebungen
der Isotopenverhältnisse - auch Fraktionierung genannt - hängt
vielfach von der Temperatur ab, bei der bestimmte Prozesse wie
Verdunstung oder Kondensation von Wasser ablaufen. Diese
Temperaturabhängigkeit ist wichtig für die Paläoklimatologie. Neben
der Temperaturabhängigkeit zeigt das Verhältnis der Sauerstoffisotope
18O / 16O im Allgemeinen Änderungen in den atmosphärischen
Zirkulationssystemen an, bei denen die Verdunstung, der
Luftmassentransport und Kondensationsprozesse eine wesentliche Rolle
spielen. Die Verschiebungen der Sauerstoffisotopenverhältnisse bei
natürlichen Prozessen sind jedoch meist sehr gering. Mit einem
Massenspektrometer lassen sich diese Änderungen dennoch sehr genau
messen. Anstatt absolute Veränderungen in den Isotopengehalten zu
bestimmen, wird das Verhältnis zwischen einer Proben- und einem
Standardwert bestimmt und in Promille als Delta-Wert 18O angegeben.
Der Sättigungsdampfdruck von schwereren 18O Wassermolekülen ist etwas
geringer als von normalen 16O. Aufgrund dieser Eigenschaft verdunsten
schwerere Moleküle langsamer und kondensieren schneller. Durch die
Verdunstung des Oberflächenwassers der Ozeane entsteht Wasserdampf,
der sich somit bevorzugt aus isotopisch leichten Wassermolekülen
zusammensetzt, während das Oberflächenwasser durch größere Mengen des
schwereren Isotops angereichert wird. Mit dem Aufstieg in die
Atmosphäre bilden sich Wolken, welche mit den globalen Windsystemen
über die Kontinente bzw. zu den Polen transportiert werden und dabei
eine sukzessive Abkühlung erfahren. Bei der Überquerung von
Landmassen kondensieren Teile des Wasserdampfs und regnen nach und
nach ab. Da nun die Wassermoleküle mit schwereren Isotopen leichter
kondensieren, reichert sich der entstehende Niederschlag im Vergleich
zum Wasserdampf mit schweren 18O-Isotopen an. Folglich wird der
verbleibende Wasserdampf isotopisch leichter. Beim weiteren
Luftmassentransport über die Kontinente und durch stetiges Abregnen
wiederholen sich die Evaporations- und Kondensationseffekte, sodass
die Niederschläge mit zunehmender Entfernung zur Ausgangsquelle des
Wasserdampfes - also dem Ozean - isotopisch immer leichter werden.
Somit lässt sich eine graduelle Abnahme des Delta-18O Gehalts von den
Tropen zu den Polen feststellen, wo sich die leichtere Delta-18O
Signatur im dort ablagernden Schnee und schließlich im bildenden Eis
einlagert. Dass der Isotopenwert in Abhängigkeit von der Temperatur
(maßgebend ist hier die Kondensationstemperatur des Niederschlags)
schwankt, lässt sich beispielhaft ganz gut anhand eines beprobten
Schneedeckenschachts bestimmen. Man erkennt in Abbildung 1
(https://bit.ly/3lki8mT) deutlich die starken saisonalen Schwankungen
mit vergleichsweise hohen Delta-18O Werten im Sommer und niedrigen im
Winter.
Trotz der komplexen Niederschlagsprozesse wurde eine empirische
lineare Beziehung anhand von Schneeproben zwischen dem Delta-18O Wert
und der mittleren vorherrschenden Jahrestemperatur gefunden. Wenn man
annimmt, dass diese empirischen Beziehungen auch in der Vergangenheit
gültig waren, kann man anhand von Isotopenmessungen an Eisbohrkernen
die mittlere Jahrestemperatur berechnen. Diese ist für das Plateau
des antarktischen Inlandeises ohne große Einschränkungen gültig und
kann mit den längsten Eisbohrkernen über annähernd eine Million Jahre
rekonstruiert werden.
Ein Klimawandel, der die globalen Muster von Verdunstung und
Niederschlag verändert, wirkt sich grundlegend auf das Delta-18O
Verhältnis aus. In klimatisch wärmeren Perioden mit stärkerer
Verdunstung kann vermehrt 18O zur Wolkenbildung beitragen. Zudem
können bei höheren globalen Temperaturen, die mit schwereren
Sauerstoffisotopen angereicherten Wolken trotz mehrfacher Verdunstung
und Kondensationszyklen weiter in die Polarregionen vordringen.
Folglich müssen Eisschichten mit einem höheren relativen Anteil an
18O aus wärmeren Zeiten stammen (vergleichbar mit der saisonalen
Schwankung). In Kaltzeiten werden hingegen vermehrt leichte Isotope
im Eis angereichert. Kommt es in einer Warmzeit wieder zur
Eisschmelze, so werden die leichten Isotope freigesetzt und steigen
im Meerwasser relativ gesehen wieder an. Eisbohrkerne verraten uns
somit viel über das Klima der Vergangenheit.
M.Sc.-Met. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 11.11.2020
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