Thema des Tages

05-11-2020 09:50

Vom T-Shirt zur Winterjacke

Am vergangenen Montag noch bestes Spätsommerwetter, jetzt - nur
wenige Tage später - Scheibenkratzen am Morgen. Was ist da in der
Wetterküche passiert?

In dieser Woche ist das ganze Repertoire des Kleiderschranks gefragt.
Am Montag konnte die Jacke getrost im Schrank bleiben, dagegen waren
T-Shirts angesagt und manch einer mag zum nachmittäglichen
Spaziergang in der Sonne vielleicht sogar nochmals zur kurzen Hose
gegriffen haben. Ganz anders am heutigen Donnerstagmorgen - vor allem
in den mittleren Landesteilen war Scheibenkratzen erforderlich. Wer
lieber mit dem Rad zur Arbeit fahren wollte, zog sich gerne eine
dickere Jacke und Handschuhe an und auch nachmittags kommt man ohne
Jacke draußen leicht ins Frieren.

Besonders eindrucksvoll ist der Vergleich der Temperaturen am frühen
Morgen. Wie schon im Tagesthema vom 3. November beschrieben, kamen
einem die Temperaturen morgens um 7 Uhr geradezu surreal vor. Vor
allem im Westen und Nordwesten betrug die Temperatur 17 bis 19 Grad,
sonst meist 14 bis 17 Grad. In Mülheim-Kärlich wurden sogar 20,3°C
gemessen. Selbst im Hochsommer ist es zu dieser Tageszeit oft kühler.
Kein Wunder, dass mehr als die Hälfte aller Wetterstationen in
Deutschland neue November-Rekorde für die Tiefsttemperatur (die meist
bereits am Vorabend erreicht wurde) verzeichnen konnten. Ganz im
Gegensatz dazu war es heute Morgen in der Mitte mit 0 bis -3 Grad
vielerorts frostig, aber auch sonst war es (außer ganz im Süden und
an den Küsten) mit 5 bis 1 Grad zur selben Uhrzeit teils über 15 Grad
kälter als am Montag.

Die Höchsttemperaturen zeigen einen ähnlichen Trend. Verbreitet
wurden am Montag Temperaturen über 20 Grad erreicht und damit alte
Novemberrekorde teils deutlich übertroffen. Nur die bunt gefärbten
Blätter waren ein untrügliches Zeichen des Spätherbstes. Am wärmsten
war es in Bad Dürkheim in der Vorderpfalz mit unglaublichen 24,0°C.
An der seit 72 Jahren bestehenden Wetterstation am Frankfurter
Flughafen wurde mit 22,6°C der alte Rekord (19,1°C) um stolze 3,5
Grad übertroffen! Wetterstationen mit sehr langen Zeitreihen belegen
allerdings, dass es Anfang November 1899 (also vor 121 Jahren)
ähnlich oder sogar noch wärmer war. Damals wurden beispielsweise in
Bamberg 21,9°C gemessen, während es diesmal "nur" für 20,6°C reichte.


Am heutigen Donnerstag kommen wir nicht über kühle 8 bis 12 Grad
hinaus. Damit liegen die "Höchst"werte deutlich unter den
"Tiefst"werten von Montag.

Was ist da in der Wetterküche passiert? Dazu schauen wir uns an, wie
sich die Temperatur in etwa 1,5 km Höhe (850 hPa Druckfläche) im
Laufe der Woche verändert hat (s. Abb.). In dieser Höhe spürt man
kaum mehr den Einfluss des Erdbodens, sodass sich die Temperatur nur
dann ändert, wenn wärmere oder kältere Luft herangeweht wird. In der
Nacht zum Montag betrug die Temperatur in dieser Höhe über
Deutschland 10 bis 13 Grad und auch am Montag tagsüber noch rund 10
Grad. Zeitgleich wehte ein recht kräftiger Wind, welcher dafür
sorgte, dass die Luft vertikal wie horizontal gut
durcheinandergewirbelt wurde. Man spricht von einer turbulent
durchmischten Atmosphäre. Bei dieser Situation ist es in Bodennähe
deutlich wärmer als in der Höhe. Am Abend erreichte den Nordwesten
aber eine Kaltfront, die bis Dienstag ganz Deutschland überquerte.
Dahinter floss deutlich kühlere Meeresluft ein, sodass die
Temperaturen in 850 hPa auf um oder sogar knapp unter 0 Grad sanken.
Demnach erreichten die Höchstwerte gestern auch nur noch 7 bis 13
Grad.

Aktuell steigt die Temperatur in 1,5 km Höhe schon wieder merklich an
und erreicht am Samstag in der Südhälfte wieder über 10 Grad. Anders
als am Montag müssen wir uns aber auch dann mit
Nachmittagstemperaturen von nur 8 bis 16 Grad begnügen. Was auf den
ersten Blick verwunderlich ist, kann der aufmerksame Leser des
gestrigen Tagesthemas bestimmt erklären (...und wer es noch nicht
gelesen hat, kann dies gerne nachholen, siehe unten angefügter Link).
Des Rätsels Lösung ist eine starke Inversion, die verhindert, dass
die warme Luft in der Höhe bis zum Boden (turbulent) heruntergemischt
werden kann. Die Luft der untersten etwa 1000 m ist von der warmen
Luft in der Höhe abgekoppelt und durch die nächtliche Auskühlung
deutlich kühler als zu Wochenbeginn. Selbst wenn sich die Sonne durch
den Nebel und Hochnebel kämpft, schafft sie es nicht, die Luft
merklich zu erwärmen. Teils bleibt an der Unterseite der Inversion
die hochnebelartige Bewölkung ganztags hängen und beschert uns
tristes und kühles Novemberwetter.

Wer sich schon heute nach Temperaturen wie am vergangenen Montag
sehnt, der muss sich wohl leider noch bis zum Frühjahr kommenden
Jahres gedulden.


Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 05.11.2020

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