Thema des Tages
24-09-2020 09:50
Tiefblau, smaragdgrün, milchig weiß: Warum klares Wasser so bunt sein
kann
Es scheint, als hätte jemand tausende Farbeimer in den See gekippt,
so fast schon unnatürlich schön wirkt der türkis-smaragdgrüne See
Gjende in Norwegen. Doch woher hat dieser See seine Farbe?
18 km lang aber nur 1,5 km breit und umgeben von steilen Berghängen:
Der Gjende-See liegt im Nationalpark "Jotuntheimen" (was übersetzt
"Heim der Riesen" bedeutet) ? ein imposantes Berggebiet in
Ostnorwegen voller Wasserfälle, Flüsse, Seen, den höchsten Bergen
Norwegens und einigen Gletschern. Einer dieser Gletscher ist der
"Austre Memurubrean", von dem der Fluss "Muru" zunächst durchs
Memurudalen-Tal fließt und nach etwa 10 km im besagten See Gjende
mündet. Muru befördert nicht nur sportliche Kajakfahrer talabwärts
(die wirklich sportlich sein müssen, weil sie ihre Kajaks aufgrund
fehlender Straßen den Fluss hoch tragen müssen?), sondern auch das
Schmelzwasser des Gletschers. Dieses führt "Gesteinsmehl" mit sich,
das durch die Gletschererosion entsteht: Bewegt sich der Gletscher,
werden die Mineralien auf dem Gestein, über das der Gletscher fließt,
pulverisiert. Das feinkörnige Gestein führt zunächst zu einer grau-
bis weißlichen Trübung des Abflusswassers, weshalb man auch von
"Gletschermilch" spricht (die übrigens auch als teures Wundermittel
gekauft werden kann).
Doch der Gjende-See ist nicht milchig weiß, sondern strahlend türkis.
Wie kommt das? Um das zu klären, ist es zunächst wichtig zu
verstehen, warum wir überhaupt Farben im Wasser sehen: Die Farbe
eines Mediums ist grundsätzlich das Ergebnis der Wechselwirkung
auftreffenden Lichts mit den Atomen oder Molekülen des Mediums - in
diesem Fall des Wassers. Ohne Licht also keine Farbe. Der Mensch kann
Licht mit Wellenlängen zwischen 350 Nanometern (violett) und 750
Nanometern (rot) wahrnehmen. Durch Reflexion, Streuung und Absorption
werden dem ungefilterten Sonnenlicht, das wir als weiß wahrnehmen,
bestimmte Wellenlängen "entnommen" und es entstehen Farbeindrücke.
Ist der Durchmesser des Teilchens sehr viel kleiner als die
Wellenlänge des Lichts, spricht man von der sogenannten
"Rayleigh-Streuung". Blaues Licht mit kurzer Wellenlänge wird dabei
etwa fünfmal stärker gestreut als rotes, das von den Wassermolekülen
"verschluckt" (absorbiert) wird.
Die Wechselwirkung von Wassermolekülen mit Lichtstrahlen ist
allerdings nur sehr schwach, weswegen geringe Wassermengen wie
Tropfen oder Pfützen farblos erscheinen. Mit zunehmender Strecke, die
ein Lichtstrahl durch Wasser zurücklegt, werden jedoch immer mehr
rote Lichtanteile absorbiert und blaue gestreut. Ein Taucher sieht
deshalb mit zunehmender Tauchtiefe zuerst die roten, die grünen und
schließlich die blauen Farben verschwinden. Je tiefer ein See, desto
tiefblauer erscheint er also. Ein Beispiel ist z.B. der See
"Bessvatnet", im Bild rechts zu sehen.
Je mehr gestreutes Licht die Wasseroberfläche verlässt, desto
intensiver ist der Farbeindruck. Ein reflektierender Untergrund ?
heller Sand beispielsweise ? kann den Farbeindruck noch verstärken.
Eindrucksvoll wird das beispielsweise an flachen Mittelmeerstränden
sichtbar.
Häufig wird die Farbe eines Wasserkörpers jedoch durch alle möglichen
Schwebstoffe bestimmt und damit kommen wir nun endlich wieder auf den
Gjende-See zurück: Denn sobald das Schmelzwasser des Gletschers mit
dem Gesteinsmehl aus dem Fluss in den Gjende-See fließt, sinken die
pulverisierten Mineralien in dem stehenden Gewässer teilweise ab.
Trifft nun Sonnenlicht auf diese Suspension, werden von dem
Gesteinsmehl auch etwas größere Wellenlängen gestreut, also der
grünliche Anteil des Lichts ? wodurch uns der See in einer
beeindruckenden blau-grünen / smaragdfarbenen Mischung erscheint
(siehe linker See im beigefügten Foto).
Wie intensiv ein solcher Gletschersee leuchtet, hängt dabei sowohl
von seiner Tiefe, als auch von der Größe der Gesteinsmehlpartikel und
den Bewölkungsverhältnissen ab.
Wer mit der Schönheit der funkelnden Gletscherseen ein "Happy End"
dieses Tagesthemas erwünscht, sollte nun nicht weiterlesen. Denn
durch das Abschmelzen der Gletscher werden die bestehenden
Gletscherseen nicht nur größer, sondern es entstehen auch immer
wieder neue. Eine kürzlich im Journal "Nature" veröffentlichte Studie
zeigte, dass die Wassermenge in Gletscherseen seit 1990 um etwa 50
Prozent gestiegen ist. Mit diesem Wissen kann die Freude an den
atemberaubend schönen Seen durchaus etwas getrübt sein.
Dipl.-Met. Magdalena Bertelmann
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 24.09.2020
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