Thema des Tages

16-09-2020 08:20

Medicane UDINE über dem Ionischen Meer

Mittlerweile fast jedes Jahr im Herbst zeigt sich über dem Mittelmeer
das Phänomen des hurrikan-ähnlichen Wirbelsturms "Medicane". In den
kommenden Tagen zieht ein solcher über dem Ionischen Meer seine
Kreise, tangiert Italien und trifft dann vor allem Griechenland.

In den 1980er-Jahren prägten Wissenschaftler den Begriff des
"Medicane" (zusammengesetzt aus den englischen Wörtern
medi(terranean) und (hurri)cane), als ihnen in den Herbstmonaten über
dem Mittelmeer Wolkenformationen auffielen, die wie ein Hurrikan
aussahen. In einem solchen Wirbelsturm sind Wolkenbänder ähnlich wie
bei einer Galaxis spiralförmig und entgegen dem Uhrzeigersinn um ein
Zentrum angeordnet. Im Zentrum selber herrscht in einem kleinen
Bereich Absinken, was dort zur Wolkenauflösung führt. Dieser Bereich
sticht dann wie ein Auge hervor, was in den meisten Fällen auch ein
Merkmal eines Hurrikans ist.

Medicanes können in Anlehnung an die Saffir-Simpson-Skala
(inoffiziell) in drei Stufen eingeteilt werden: Bei einem
1-Minuten-Mittel-Wind bis 62 km/h (alternativ 10-Minuten-Mittel-Wind
bis 54 km/h) handelt es sich um eine "mediterrane tropische Störung",
bei 1-Minuten-Mittel-Winden bis 111 km/h (bzw.
10-Minuten-Mittel-Winden bis 99 km/h) um einen "mediterranen
tropischen Sturm". Ab einem 1-Minuten-Mittelwind von 112 km/h (bzw.
ab einem 10-Minuten-Mittel-Wind von 100 km/h) kann dann von einem
"Medicane" gesprochen werden. Bei einem Hurrikan müssen allerdings
119 km/h oder mehr erreicht werden, damit der Begriff verwendet
werden kann. Medicanes erreichen meist etwas niedrigere Windspitzen
als Hurrikane (nur selten Stufe 1 der Saffir-Simpson-Skala), weshalb
die etwas niedrige Schwelle von 112 km/h angesetzt wurde. Weitere
Informationen zum Thema "Medicane" gibt es im DWD-Lexikon unter
https://bit.ly/3c1iue6 und im Thema des Tages vom 1. September 2015
unter https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2015/9/1.html.

In den 2010er-Jahren ließen sich fast jedes Jahr im Herbst Medicanes
beobachten. Zuletzt sorgte Medicane ZORBAS, ebenfalls über dem
Ionischen Meer entstanden, vom 27. September bis 1. Oktober 2018 für
Schlagzeilen. Davor machte Medicane NUMA ausgehend vom Adriatischen
Meer vom 16. bis zum 19. November 2017 mächtig Wirbel. Weitere
Medicanes waren 2016, 2014 und 2011 unterwegs, weiter zurück in der
Vergangenheit finden sich einige weitere Beispiele. Ob es nach dieser
Häufigkeit des Auftretens in den 2010er-Jahre auch in Zukunft zu
einer Zunahme dieser Stürme kommt, ist allerdings umstritten, da es
in wissenschaftlichen Studien bisher keine eindeutigen Ergebnisse
dazu gibt.

Beim aktuellen Tief bzw. Sturm über dem Ionischen Meer mit dem Namen
UDINE, das schon seit dem 14. September erkennbar ist, ist bis zum
heutigen Mittwochmorgen noch kein Auge im Satellitenbild sichtbar
geworden. Es liegen auch keine Windböen-Meldungen vor, da sich der
Sturm über dem offenen Meer befindet. Laut Prognosen sollen die
3-stündigen Windspitzen aktuell bei 75 bis 100 km/h liegen und können
am heutigen Mittwoch bis zu 150 km/h erreichen. Am Donnerstag und
Freitag, wenn der Sturm auf Griechenland zuzieht, simuliert das
europäische Wettermodell vom EZMW sogar 3-stündige Windspitzen von
150 bis 210 km/h (siehe Grafik unter dem Thema des Tages unter
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2020/9/16.html)! Es ist
daher wahrscheinlich, dass die 1- oder 10-Minuten-Windmittel die
Bedingungen eines Medicanes erfüllen werden.

Darüber hinaus hat ein Medicane oft enorme Regenmengen an Bord, da er
sich über dem Meer mit Feuchtigkeit vollsaugen kann. Die
Wettermodelle sagen bis Samstag jeweils 24-stündig rund 200 bis 300
Liter pro Quadratmeter (l/qm) vorher (siehe Grafik), einzelne Modelle
zeigen lokal sogar über 500 l/qm an! Zunächst regnet es aber
hauptsächlich über dem Meer, erst mit Verlagerung des Sturms nach
Osten sind am Freitag und Samstag auch größere Landmassen betroffen.
Dabei dürfte insbesondere Griechenland von den Niederschlägen
heimgesucht werden, bevor sich der Medicane am Sonntag ohne
Unterstützung des warmen Meeres deutlich abschwächt.

Dipl.-Met. Simon Trippler
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 16.09.2020

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