Thema des Tages
30-07-2020 09:20
Auf den Schultern von Giganten
In mehreren Episoden soll kurz das Leben und Werk berühmter
Mathematiker und Physiker beleuchtet werden, immer auch mit einem
Link zur Meteorologie. Im heutigen Beitrag beginnen wir mit Ludwig
Boltzmann.
Frei nach dem Motto des Bestsellers von Stephen Hawking: 'Giganten
des Wissens' soll jeweils ein kurzer Abriss über die Biografie und
Lebensleistung von Naturwissenschaftlern erfolgen, die unser Weltbild
geprägt und zuweilen neu definiert haben. Natürlich wird hierbei
hauptsächlich der Blick auf Mathematiker und Physiker gerichtet, die
auch einen erheblichen Beitrag zur Entwicklung der Meteorologie als
eigenständige Wissenschaft innerhalb der Physik geleistet haben.
Das Lebenswerk Ludwig Boltzmanns war die teilweise Neuformulierung
und Weiterentwicklung der Thermodynamik, ein wesentlicher Bestandteil
der Meteorologie (oder auch Physik der Atmosphäre genannt). Dabei
begründete er zusammen mit James Clerk Maxwell die Statistische
Mechanik (Boltzmann-Statistik) und deutete die Entropie sowohl als
mikroskopische Größe als auch als Zustand der Unordnung eines
thermodynamischen Systems. Die Entropie ist damit entscheidend für
die Richtung des Ablaufs von physikalischen Prozessen. Hier drängt
sich der 2. Hauptsatz der Thermodynamik auf, der u.a. besagt, dass
die Entropie in einem abgeschlossenen adiabaten System (also ohne
äußere Wärmezufuhr) nicht abnehmen kann, sondern in der Regel eher
zunimmt. Nur bei reversiblen (umkehrbaren) Prozessen bleibt sie
konstant.
Auf dem Grabstein von Ludwig Boltzmann auf dem Wiener Zentralfriedhof
ist die von ihm gefundene, fundamentale Beziehung eingraviert:
S = k*log(W)
In anderer Schreibweise:
S = kB*ln(Omega)
Die Entropie S eines Makrozustandes ist proportional dem natürlichen
Logarithmus der Zahl Omega der entsprechend möglichen Mikrozustände.
Anders ausgedrückt ist die Entropie eines Makrozustandes proportional
dem Maß seiner Unordnung. Die Proportionalitätskonstante ist
Boltzmann zu Ehren Boltzmann-Konstante kB genannt worden. Sie ist
universal gültig und beschreibt das Verhältnis von Energie- bzw.
Wärmeumsatz zu Temperatur.
Das bedeutet z.B. für die Prozesse in der Atmosphäre, wo generell
viel Wärme umgesetzt wird, dass der Entropie eine wesentliche Rolle
zukommt. Nimmt Letztere doch bei der äußeren Zufuhr von fühlbarer
Wärme sowie latenter Wärme (Wärmemenge, die frei wird z.B. bei der
Kondensation von Wasserdampf) aufgrund dann nicht mehr reversibler
(also irreversibler) Prozesse stetig zu.
Dieser Umstand trägt dann wiederum immer zu einer gewissen
Unsicherheit bei den Wettervorhersagen bei, da ein ungeordnetes oder
auch chaotisches System deterministisch zeitlich nicht mehr eindeutig
vorhersagbar ist.
Auf dem beiliegenden Foto ist recht anschaulich die turbulente oder
chaotische Wolkenbewegung nach Kondensation von Wasserdampf zu sehen,
die u.a. dem Zuwachs an Entropie geschuldet ist.
Ein anderes Beispiel für einen Entropiezuwachs ist die Vermischung
von zwei Flüssigkeiten mit unterschiedlicher Temperatur. Wenn man
nämlich kalte Milch in heißen Kaffee gießt, beobachtet man sofortige
Verwirbelung innerhalb der Flüssigkeit. Turbulenz bzw. turbulente
Vermischung ist in der Natur der effektivste Weg, um lokale
Temperaturunterschiede auszugleichen. Und dieser Prozess ist streng
irreversibel.
Boltzmann hatte ebenso Einfluss auf die Formulierung des Planck'schen
Strahlungsgesetzes. Das Josef Stefan & Ludwig Boltzmann-Gesetz (die
ausgestrahlte Leistung ist der 4. Potenz der absoluten Temperatur
proportional) ist nämlich strenggenommen ein Sonderfall des
Planck'schen Gesetzes (siehe auch Stefan-Boltzmann-Konstante).
Ab 1870 beschäftigte sich Boltzmann auch mit der Luftfahrt; so
interessierten ihn u.a. auch die Flugversuche von Otto Lilienthal.
1876 heiratete er Henriette von Aigentler (1854-1938). Sie hatten
gemeinsam fünf Kinder, von denen vier zwischen 1878 und 1884 in Graz
zur Welt kamen. Die jüngste Tochter wurde 1891 in München geboren.
Seine wissenschaftlich fruchtbarste Zeit verbrachte er in Graz und
auch seine menschlich glücklichste. Er musizierte, liebte die Musik
(spielte Klavier), betrieb Sport und war ein treusorgender
Familienvater, der jedoch einen seiner Söhne verlor. Seine letzten
Lebensjahre waren durch ein körperliches Leiden geprägt, das er
schließlich im September 1906 durch Suizid endete.
Dr. rer. nat. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 30.07.2020
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