Thema des Tages
16-02-2020 10:20
Windscherung: Gefahr für den Luftverkehr
Turbulenzen während des Fluges - für jeden Reisenden unangenehm.
Windscherungen während der Start- und Landephase eines Fluges können
sogar eine ernste Gefahr darstellen. Was Windscherungen sind und
welche Auswirkungen für die Luftfahrt hat, klären wir im heutigen
Thema des Tages.
Unter dem Begriff Windscherung versteht man eine Änderung der
Windgeschwindigkeit oder Windrichtung über eine relativ kurze Distanz
in der Atmosphäre. Je geringer die Distanz ist, über welche der
Richtungs- oder Geschwindigkeitswechsel auftritt, desto stärker ist
die Scherung. Für ein Luftfahrzeug sind insbesondere die Low-Level
Windscherungen (also in niedrigen Höhen über dem Erdboden)
entscheidend. Windscherungen sind regelmäßig mit Turbulenzen
verbunden. Das führt im einfacheren Fall bloß zu einem unruhigen
Flug, gegebenenfalls aber auch zu ernsten Problemen und Gefahren
während der Start- und Landephase. So können bei einem in der Luft
befindlichen Flugzeug Windscherungen und Turbulenzen zu strukturellen
Überlastungen führen und ein heftiges Durchsacken oder Hochsteigen
des Flugzeugs bewirken.
Low-Level Windscherungen beruhen auf Änderungen der vertikalen und
horizontalen Komponente des räumlichen Windvektors (siehe
www.dwd.de/lexikon), so dass man auch in horizontale und vertikale
Windscherungen unterscheidet. Horizontale Windscherungen beeinflussen
ein Luftfahrzeug wesentlich stärker als vertikale, da es bei Start
oder Landung horizontal eine größere Strecke zurücklegt als in
vertikaler Richtung und deshalb viel schneller unter andere
Windeinflüsse geraten kann.
Unter horizontaler Windscherung versteht man die Änderung der
Windgeschwindigkeit und/oder -richtung in einem bestimmten
horizontalen Abstand. Diese Scherungen treten beispielsweise häufig
in der Umgebung von kräftigen Gewittern auf. Die aus einem Gewitter
herabstürzende Kaltluft breitet sich dabei in Erdbodennähe horizontal
in allen Richtungen aus und kann starke Windböen verursachen. Die
Gewitterböe ist umso heftiger, je größer der Temperaturunterschied
zwischen der ausfallenden Kaltluft und der Umgebungsluft ausfällt.
Oberhalb der Kaltluft strömt warme Luft aus der entgegengesetzten
Richtung in die Gewitterzelle ein. Besonders gefährlich sind
sogenannte "Downbursts", die je nach Heftigkeit bzw. zeitlicher und
räumlicher Ausdehnung als Macro- oder Microburst bezeichnet werden.
Microbursts können besonders starke horizontale Windscherungen
verursachen. Beim Durchfliegen eines Microbursts zwischen
Gewitterzelle und Landebahn kann eine totale Windrichtungsänderung
stattfinden. Die plötzliche Verringerung des Gegenwindes bewirkt eine
Auftriebsabnahme, so dass das Flugzeug an Höhe verliert, wenn der
Pilot nicht korrigierend eingreift.
Horizontale Windscherungen entstehen ebenfalls durch Störungen und
Verwirbelungen der bodennahen Luftströmung aufgrund örtlicher
Hindernisse wie Gebirge oder Hügel aber auch durch große Gebäude wie
beispielsweise Flugzeughangars. Darüber hinaus werden in der Umgebung
von Bodenfronten und deren zugehörigen räumlich breiter gefassten
Frontalzonen (Luftmassengrenzen) teils starke horizontale
Windscherungen beobachtet. Immer dann, wenn ein Flugzeug eine
Frontalzone durchquert, wird es Scherungen antreffen. Geschieht dies
bodennah und sind diese stark ausgeprägt, können die Scherungen eine
mögliche Gefahr für das Luftfahrzeug bedeuten. Winterliche
Warmfronten mit markanten Luftmassengegensätzen gelten dabei als
besonders scherungsträchtig.
Im Bereich einer 2 - 4 km langen Start- und Landebahn sind
horizontale Windrichtungs- und Geschwindigkeitsänderungen von mehr
als 10 Knoten durchaus nicht ungewöhnlich. Horizontale Windscherungen
treten nicht alleine auf, sondern sie sind meist mit vertikaler
Scherung und Turbulenz verbunden.
Die Änderung der durchschnittlichen horizontalen Windgeschwindigkeit
und -richtung mit der Höhe wird als vertikale Windscherung
bezeichnet. Die Mehrzahl der Fälle mit starker vertikaler Low-Level
Windscherung treten bei stabilen atmosphärischen Bedingungen auf. Das
bedeutet, dass starke vertikale Scherungen meist nachts und/oder in
Verbindung mit markant ausgeprägten Inversionen oder sogenannten
Low-Level Jets (ein vertikal eng begrenztes Windmaximum in bodennahen
Luftschichten) beobachtet wurden.
Die vertikale Windscherung ist im Allgemeinen von geringerer
Bedeutung, da die Scherungswerte üblicherweise nicht sehr groß
werden.
Wie bereits eingangs erwähnt haben Windscherungen im Landeanflug oder
im Steigflug den stärksten Einfluss auf Luftfahrzeuge, da diese sich
in beiden Fällen mit reduzierter Geschwindigkeit bewegen. In der
Luftfahrt wird die Windscherung aufgrund des Gewinnes oder Verlustes
der Fluggeschwindigkeit als negative und positive Windscherung
bezeichnet. So kann eine negative Windscherung im Landeanflug
unvermittelt einen Auftriebsverlust (eine Zunahme der
Rückenwindkomponente oder Abnahme der Gegenwindkomponente) mit einem
plötzlichen Abfall der Geschwindigkeit der anströmenden Luft
bewirken, so dass ein sofortiges Durchstarten mit voller
Triebwerksleistung erforderlich wird. Eine positive Windscherung
hingegen stellt keine unmittelbare Gefahr für das Flugzeug dar, da
ein zusätzlicher Auftrieb durch die Zunahme der Gegenwindkomponente
oder Abnahme der Rückenwindkomponente erreicht wird. Gefährlich wird
es jedoch, wenn nach einer positiven Windscherung die Leistung
reduziert wird und es dann zu einer negativen Windscherung mit einem
Wegfall der vorherigen zusätzlichen Gegenwindkomponente kommt.
Windscherungen müssen daher rechtzeitig erkannt werden, um
Flugunfälle zu vermeiden.
M.Sc. Meteorologe Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 16.02.2020
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst