DWD Synoptische Übersicht Mittelfrist

23-01-2020 11:30

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T M I T T E L F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 23.01.2020 um 10.30 UTC



Nach ruhigem Wochenende ab Montag Umstellung auf West/Südwest zyklonal mit
zunehmendem Sturmpotenzial (Dienstag Unwetterpotenzial im Nordwesten);
Winterwetter weiter nicht in Sicht.
__________________________________________________________

Synoptische Entwicklung bis zum Donnerstag, den 30.01.2020


Es kommt Bewegung in die Wetterküche: Im Mittelfristzeitraum vollzieht sich die
Umstellung von der Großwetterlage "Brücke Mitteleuropa" (eher Wa mit positiver
NAO) auf eine zyklonale West- bis Südwestlage. Wie sich das Ganze im Detail
abspielt, ist natürlich noch unsicher, nach wochen-, ja fast schon monatelanger
trügerischer Ruhe steht aber sicherlich eine spannende und vor allem auch für
den Warndienst durchaus arbeitsintensive Wetterphase ins Haus. Dabei deuten
einige Modelle bzw. Modellläufe durchaus auch "richtig böse" Varianten an, vor
allem am Dienstag/Mittwoch.

Aber der Reihe nach: Am Sonntag steht einem hochreichenden und umfangreichen
Zentraltief über dem mittleren Nordatlantik mit Drehzentrum sowohl in 500 hPa
als auch am Boden knapp westsüdwestlich von Island ein umfangreicher Höhenrücken
gegenüber, der sich über Südost- und Osteuropa hinweg nordnordwestwärts bis ins
Nordmeer erstreckt. Dieser wird bis Montag, 00 UTC zunächst nur langsam nach
Osten abgedrängt, wobei sich ein dem Trog vorgelagerter flacher Randtrog von
Frankreich her über Süddeutschland ins östliche Mitteleuropa verlagert und im
Südosten Deutschlands für leichte Niederschläge sorgt, die vor allem in den
klassischen "Frostlöchern" gefrieren können.
"Angefacht" durch einen massiven Kaltluftvorstoß aus dem kanadischen Raum
Richtung mittlerer Nordatlantik kann sich die Frontalzone südlich des
Höhentief-Drehzentrums deutlich intensivieren und bietet Potenzial für markante
Zyklogenesen im westeuropäischen Raum.
Im Bodenfeld dominiert am Sonntag aber noch der Einfluss eines Hochdruckgebietes
über Südosteuropa. Von Nordwesten setzt sich zwar der Druckfall weiter fort,
dennoch bleibt es (abgesehen von den leichten Niederschlägen im Südosten) am
Sonntag noch meist trocken. Erst in der Nacht zum Montag greift die Kaltfront
des Islandtiefs mit Regenfällen auf den Westen und Nordwesten Deutschlands über
und kommt bis in die mittleren Landesteile voran.
Am Montag wird der Höhenrücken weiter nach Ost- und Südosteuropa abgedrängt, die
scharf ausgeprägte Frontalzone greift von West- auch auf Mitteleuropa über, der
Übergang zu West zyklonal ist vollzogen.
Strömungsparallel darin eingebettet, kommt die Kaltfront des Islandtiefs über
Süddeutschland kaum mehr nach Süden voran, sondern wird als Warmfront nach
Westen zurückgeführt und mündet in eine frontale Welle. Dieser bietet sich
aufgrund vorderseitiger Exposition zu einem markanten Kurzwellentrog ein enormes
Entwicklungspotenzial, die Höhenströmung zeichnet sich dort durch eine
außerordentlich hohe Baroklinität aus. Die genaue Zugbahn dieser sich rasch zu
einem Sturmtief vertiefenden Welle ist noch etwas unsicher, der aktuelle Lauf
des IFS hat noch die im Vergleich zu den anderen Globalmodellen harmloseste
Variante auf der Karte uns lässt sie bis Dienstag, 00 UTC zur Doggerbank ziehen
mit einem Kerndruck von knapp unter 980 hPa.
Die Kaltfrontpassage am Montag vollzieht sich über dem Vorhersagegebiet somit
noch ziemlich harmlos; die Niederschläge fallen nicht allzu üppig aus, die
postfrontal advehierte Luftmasse polaren Ursprungs hat einen weiten Weg übers
Meer genommen und kommt entsprechend mild bei uns an (lediglich im Norden und in
der Mitte geht's in 850 hPa vorübergehend auf unter 0 Grad). Auf den Bergen gibt
es Sturmböen, im Nordseeumfeld eventuell vorübergehend stürmische Böen.
Mit Annäherung des weiter oben erwähnten Sturmtiefs setzen in der Nacht zum
Dienstag von Westen her erneut schauerartige Regenfälle ein und der Wind frischt
deutlich aus Süd bis Südwest auf. Zumindest im Westen und Nordwesten sind auch
in tieferen Lagen wohl erste markante Böen (Bft 8 bis 9) zu erwarten.
Am Dienstag verlagern sich der mit zunehmender Wellenlänge ausgestattete Trog
und das Sturmtief über die Nordsee und Südskandinavien hinweg zur südlichen
Ostsee. Dabei kann sich nun auch nach Lesart des IFS das Tief deutlich
verstärken und zieht über den Nordteil der Deutschen Bucht und Süddänemark bis
Mittwoch, 00 UTC Richtung Danziger Bucht. Den Höhepunkt seiner Entwicklung
erreicht es mit einem Kerndruck von knapp unter 960 hPa unmittelbar
nordnordwestlich von Sylt. Wie sich diese Zyklogenese im Detail vollzieht, ist
nach wie vor unklar (siehe Modellvergleich), dennoch ist auch die Möglichkeit
einer Shapiro-Keyser-Zyklogenese nicht von der Hand zu weisen, einige Parameter
(z.B. Doppeljetstruktur in 300 hPa, "warmer" Tiefkern) deuten darauf hin. Somit
steht wohl zumindest Norddeutschland mit recht hoher Wahrscheinlichkeit eine
ausgewachsene und schon länger nicht mehr dagewesene Sturmlage ins Haus,
Orkanböen bis ins Binnenland nicht ausgeschlossen.
Mit Trogpassage gelangt ein Schwall nicht mehr ganz so milder maritimer
Polarluft ins Vorhersagebiet, recht verbreitet dürfte es Schauer und auch kurze
Graupelgewitter geben, für Schnee reicht es aber bei -2 bis -4 Grad in 850 hPa
und gut durchmischter Luftmasse wohl nur in den höchsten Kammlagen.
Am Mittwoch verlagert sich der nun recht breit angelegte Höhentrog weiter nach
Osteuropa, das Bodentief nun als hochreichendes Zentraltief zum Finnischen
Meerbusen. Dem Trog folgt ein Höhenrücken, dessen Achse sich vom mittleren
Nordatlantik bis Donnerstag, 00 UTC zur Nordsee bzw. nach Südwestnorwegen
verlagert, wodurch die Frontalzone wieder weit nach Norden gedrückt wird. Darin
eingebettet, verlagert sich ein weiterer Höhentrog von der Irminger See ins
Seegebiet südlich von Island.
Mit Abzug des Troges kann von Nordwesten her die polare Meeresluft vorübergehend
auf etwas direkterem Wege nach Mitteleuropa vordringen (bis -6 Grad in 850 hPa),
im Tagesverlauf zonalisiert die Strömung zumindest niedertroposphärisch über dem
Vorhersagegebiet aber wieder relativ rasch und es setzt sich wieder mildere
Atlantikluft durch. Von Frankreich her schiebt sich allmählich ein Bodenhochkeil
nach Süd- und Westdeutschland, dennoch dürfte der Tag bei allmählich wieder
abnehmendem, aber vor allem an den Küsten und auf den Bergen nach wie vor
stürmischem West- bis Nordwestwind recht unbeständig verlaufen mit Schauern,
eventuell noch kurzen Gewittern. Abends und in der Nacht zum Donnerstag greift
dann die Warmfront eines mit dem oben erwähnten Höhentrog korrespondierenden
Tiefs knapp südlich von Island auf Norddeutschland über.
Am Donnerstag kommt der oben erwähnte Höhentrog über die Norwegische See hinweg
bis nach Mittelschweden voran. Rückseitig regeneriert sich der breit angelegte
Höhenrücken über dem nahen Ostatlantik und den Britischen Inseln, verlagert sich
allmählich ostwärts und erreicht am Freitag, 00 UTC Mitteleuropa. Er wird
überlaufen von markanter WL, die auch weite Teile des Vorhersagegebietes
beeinflusst, so dass es auch nach Passage der Warmfront trotz von Süden her
zunehmenden Hochdruckeinflusses mit der Advektion feuchtmilder
Atlantikluftmassen (am Freitag, 00 UTC zwischen 2 Grad im Nordosten und 9 Grad
an den Alpen in 850 hPa) ein vielfach trüber Tag auf der Agenda steht. Lediglich
im Süden und Südwesten kann sich nahe des Hochs vielleicht häufiger die Sonne
durchsetzen. Allgemein wird es erneut sehr mild.
__________________________________________________________

Bewertung der Konsistenz des operationellen Laufs


Im Groben stützen die beiden gestrigen IFS-Läufe die vom aktuellen Lauf gezeigte
Entwicklung bis in die erweiterte Mittelfrist. Die Umstellung auf eine zyklonale
(später eventuell wieder mehr antizyklonal konturierte) Westlage ab Montag
scheint ziemlich gesichert.
Die markante Sturmtiefentwicklung am Montag/Dienstag über West- bzw. dem
nördlichen Mitteleuropa zeigen dabei auch die beiden gestrigen IFS-Läufe.
Naturgemäß gibt es dabei noch größere Differenzen bzgl. der Intensität und der
Zugbahn des Tiefs. Eine recht weit nördliche Variante hat der gestrige 00
UTC-Lauf auf der Karte (nördliche Nordsee, Südskandinavien), während der
gestrige 12 UTC-Lauf eine südlichere Zugbahn (über Benelux und Norddeutschland),
aber eine nicht ganz so intensive Entwicklung wie die beiden 00 UTC-Varianten
zeigt.
Das Potenzial für Sturm- oder gar Orkanböen ist aber ab der Nacht zum Dienstag
vor allem in Norddeutschland und nach Lesart des aktuellen Laufes nicht nur an
den Küsten, sondern auch im Binnenland deutlich erhöht.
Am Mittwoch und Donnerstag stellt sich wieder eine etwas antizyklonaler
konturierte West- bis Nordwestströmung ein. Das Potenzial für Sturmböen nimmt in
den Niederungen wieder ab (auf den Bergen und an den Küsten bleibt es aber
hoch), nach vorübergehend leichter Abkühlung am Dienstag und Mittwoch setzen
sich ab Donnerstag wieder mildere Atlantikluftmassen durch. Die beiden Vorläufe
stützen diese Entwicklung, wobei vor allem der gestrige 12 UTC-Lauf am
Donnerstag erneut eine markantere Sturmtiefentwicklung über Dänemark auf der
Agenda hatte.
__________________________________________________________

Vergleich mit anderen globalen Modellen


Die vom IFS simulierte Wetterentwicklung wird im Wesentlichen auch von den
anderen vorliegenden Globalmodellen gestützt. Den Übergang zu einer zunächst
zyklonal, zu Beginn der erweiterten Mittelfrist, also in der zweiten
Wochenhälfte zumindest vorübergehend leicht antizyklnal konturierter Westlage
haben alle Modelle auf der Agenda.
Unterschiede ergeben sich aber im Detail, zunächst vor allem, was die Intensität
und die Zugbahn des Sturm- bzw. Orkantiefs am Montag und Dienstag angeht. GFS
(Kerndruck: 942 hPa am Dienstag, 03 UTC) und ICON (Kerndruck: 948 hPa am
Dienstag, 06 UTC) zeigen eine etwas intensivere Entwicklung als das IFS mit
erhöhtem Potenzial für eine Shapiro-Keyser-Zyklone, GFS allerdings auf um einige
100 km nach Norden verschobener Zugbahn. Die für das Vorhersagegebiet
gefährlichsten Variante hat somit neben dem IFS vor allem auch das ICON auf der
Karte mit Potenzial für Orkanböen bis ins Binnenland Nordwestdeutschlands. Der
ICON-Lauf von 06 UTC zeigt mit Böen bis über 200 km/h (!!) entlang der
Ostfriesischen Küste allerdings eine Extremlösung.
Eine "Außenseiterlösung" zeigt das kanadische GEM mit einem sehr kleinräumigen
Sturmtief am Mittwoch, 00 UTC über der Deutschen Bucht, welches sich bis
Mittwochabend über Südschweden zur mittleren Ostsee verlagern soll.
Zu Wochenmitte hat das IFS eine progressivere Trogverlagerung nach Osten auf der
Karte als die meisten anderen Globalmodelle. Sowohl GFS, als auch ICON und GEM
simulieren den Trog mit seiner Achse selbst am Donnerstag, 00 UTC noch über
Mitteleuropa oder nur wenig weiter östlich, während nach Lesart des IFS dann
bereits von der Nordsee her der Höhenrücken auf das Vorhersagegebiet übergreift.
Somit setzt die Advektion milder Atlantikluft nach IFS zu Beginn der erweiterten
Mittelfrist bereits etwa 12 bis 18 Stunden früher ein. Insgesamt hat das GFS
dabei (ähnlich wie der gestrige 12 UTC-Lauf des IFS) eine etwas zyklonalere
Variante auf der Karte als der aktuelle IFS-Lauf, während GEM dagegen noch
antizyklonaler aufgestellt ist als das GFS mit einem Höhenrücken, der sich zum
Ende der Woche über dem westlichen Mitteleuropa nach Norden aufwölben soll.
__________________________________________________________

Bewertung der Ensemblevorhersagen


Bis in die erweiterte Mittelfrist (T+240 h) verteilen sich alle Member, Haupt-
und Kontrolllauf auf einen (!) Cluster, die Umstellung auf West zyklonal ist
somit so gut wie gesichert. Natürlich gibt es, das gilt auch für die
Ensemblemitglieder des GFS, noch größere Unterschiede von Member zu Member, was
die genaue Zugbahn des Sturmtiefs am Montag/Dienstag angeht. Vor allem viele
GFS-Member zeigen eine recht weit nördliche Zugbahn und meist auch eine nicht so
intensive Zyklogenese, wobei dabei auch die gröbere Auflösung gegenüber dem
Hauptlauf zu berücksichtigen ist. Entsprechend kann das Potenzial dieser recht
kleinräumigen Tiefdruckentwicklung detaillierter auch erst im Kurzfristzeitraum
abgeschätzt werden.
Dennoch steigt die mittlere Windgeschwindigkeit bei allen Membern zu Beginn der
Woche deutlich an mit Höhepunkt am Dienstag, bewegt sich aber auch darüber
hinaus auf einem relativ hohen Niveau.
Die relative Einigkeit bis zu Beginn der erweiterten Mittelfrist spiegelt sich
auch in der Kurvenschar der 850 hPa-Temperatur der einzelnen IFS-Member wider,
die bis zum kommenden Mittwoch in einem relativ engen Spread verläuft mit nur
wenigen Ausreißern nach oben. Am Mittwoch bewegen sich fast alle Member zwischen
-3 und -6 Grad in 850 hPa, lediglich zwei bis drei Member zeigen etwas höhere
Werte, eines einen etwas niedrigeren Wert.
Zu Beginn der kommenden Woche haben quasi alle Member Niederschläge auf der
Agenda mit abnehmender Tendenz zu Wochenmitte und vor allem in Norddeutschland
wieder zunehmender ab Donnerstag/Freitag.

FAZIT: Es stehen stürmische Zeiten ins Haus. Die Sachlage ist klar: Eine
zyklonale Westlage sorgt für einen unbeständigen und vor allem
abwechslungsreichen Witterungsabschnitt bis in die erweiterte Mittelfrist. Der
Polarwirbel ist nach wie vor gesund und nimmt eine noch symmetrischere Struktur
an als es momentan der Fall ist. Wie das Ganze im Detail abläuft, ist natürlich
noch unklar, vor allem, was die Entwicklung von Sturmtiefs angeht. Vor allem in
der Nacht zum und am Dienstag ist diesbezüglich aber was "im Busch".
_________________________________________________________

Wahrscheinlichkeiten für signifikante Wettererscheinungen


Im Fokus der Warntätigkeit steht in der kommenden Woche, eigentlich bereits ab
Montag, eindeutig der Wind. Andere Parameter (am ehesten noch Niederschläge,
aber auch diesbezüglich sind keine markanten Entwicklungen absehbar) sind
absolut untergeordnet, winterliche Erscheinungen treten gar nicht auf.
Bereits in der Nacht zum und am Montagvormittag kann es mit Durchzug einer
Kaltfront in den Kamm- und Gipfellagen der Mittelgebirge stürmische Böen oder
Sturmböen geben.
Nach kurzer Wetterberuhigung rückt dann ab Montagabend unser Sturmtief in den
Fokus. Vor allem in der zweiten Nachthälfte zum Dienstag und am
Dienstagvormittag haben ECMWF-EPS und ICON-EU-EPS sogar mit Wahrscheinlichkeiten
um 20% Böen Bft 11 bis 12 vor allem entlang der nordfriesischen Küste auf der
Agenda, was für eine 6-Tagesprognose schon beachtenswert ist. Im gesamten Westen
und Norden Deutschlands steigen die Wahrscheinlichkeiten für Sturmböen deutlich
an (regional auf über 50%), vor allem ECMWF-EPS zeigt mit Wahrscheinlichkeiten
zwischen 10 und 25% auch bis weit ins Binnenland hinein schwere Sturmböen.
Der ExtremWetterIndex (EWI) springt ebenfalls an mit Böen über 35 m/s vor allem
über der Deutschen Bucht und entlang der Nordfriesischen Küste.
Zu Wochenmitte nimmt der Wind zwar allgemein wieder etwas ab, dennoch bleibt das
Potenzial für markante Böen (auf den Bergen auch für Böen Bft 11 bis 12) bis in
die erweiterte Mittelfrist zumindest in Küstennähe recht hoch.

________________________________________________________

Basis für Mittelfristvorhersage
IFS, IFS-EPS, MODELMIX
________________________________________________________


VBZ Offenbach / Dipl. Met. Jens Winninghoff