Thema des Tages
29-12-2019 15:20
Festgefroren in der Arktis (Teil 2)
Ein ganzes Jahr ist das Forschungsschiff "Polarstern" an einer
Eisscholle festgefroren und driftet durch die Arktis. Was es mit der
Eisdrift auf sich hat und wie sie die MOSAiC-Expedition in die
zentrale Arktis ermöglicht, erfahren Sie im heutigen Tagesthema.
Am 17. Dezember 2019 haben wir bereits über die MOSAiC-Expedition
("Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic
Climate", "Multidisziplinäres Driftobservatorium zur Untersuchung des
Arktisklimas") berichtet. Die umfassenden Messungen dieser
einjährigen Messkampagne in der zentralen Arktis sollen einen
Durchbruch im Verständnis des arktischen Klimasystems bringen. Ziel
ist es, das Zusammenspiel zwischen Atmosphäre, Meereis und
Ozeanströmungen sowie die regionalen und globalen Folgen des
arktischen Klimawandels besser zu verstehen. Dies wird schlussendlich
zu genaueren Wetter- und Klimaprognosen führen.
Die MOSAiC-Expedition macht sich die sogenannte Eisdrift zu Nutze.
Ein Großteil des arktischen Meereises ist nämlich kein starres
System, sondern schwimmt als Treibeis auf dem Ozean (im Gegensatz zum
Festeis, das an Küsten oder dem Meeresgrund verankert ist). Das Eis
ist also ständig in Bewegung, wobei die Geschwindigkeit der Eisdrift
vom Wind und der Lufttemperatur in der Eisregion, der Meeresströmung
und der Kompaktheit des Eises abhängt. Die Driftgeschwindigkeit
beträgt etwa 1 bis 2 % der vorherrschenden Windgeschwindigkeit, was
durchschnittlich 0,25 km/h (bei maximaler Eisausdehnung im April) bis
0,5 km/h (bei minimaler Ausdehnung im Oktober) entspricht. Somit
driftet die Polarstern also allein durch die Kraft der Natur täglich
mit der Eisscholle mehrere Kilometer durch die Arktis.
In der Arktis existiert zum einen der "Beaufortwirbel", in dem sich
das Eis nördlich von Grönland, Kanada und Alaska im Uhrzeigersinn
dreht (siehe Abbildung). Als zweite Hauptströmung gibt es die für die
MOSAiC-Expedition entscheidende "Transpolardrift". Sie führt von
Sibirien nach Grönland und transportiert gewaltige Eismengen durch
die Framstraße an die Ostküste Grönlands. Entlang der grönländischen
Küste macht sich das Eis weiter auf den Weg nach Süden, bis es im
wärmeren Wasser des Nordatlantiks schmilzt.
Die Transpolardrift ist die einzige Möglichkeit, mit dem Schiff
selbst im Winter in den direkten Polbereich nördlich des 87.
Breitengrads zu gelangen, wo das Eis zu dieser Zeit selbst für einen
Eisbrecher zu dick wäre. Vorbild für die MOSAiC-Expedition ist
Fridtjof Nansen, der bereits vor 125 Jahren als erster Mensch mit dem
hölzernen Forschungsschiff "Fram" die Zentralarktis im Winter
erreicht und damit erstmalig die Eisdrift gezeigt hat. Nun wird die
Expedition mit dem modernen Forschungseisbrecher Polarstern
wiederholt.
Zusammen mit dem russischen Eisbrecher "Akademik Fedorov" ist die
Polarstern am 20. September vom Hafen Tromso Richtung Arktis
aufgebrochen. Im zu dieser Jahreszeit noch dünnen sibirischen Meereis
musste man zunächst eine Eisscholle finden, an der die Polarstern
wenige Wochen später andocken konnte. Sie sollte einen Durchmesser
von mehreren Kilometern haben und mindestens 1,5 m dick sein, damit
sie stabil und groß genug ist, um dort das Forschungscamp errichten
zu können. Nach dem Andocken wurden die Maschinen in Leerlauf
versetzt und man begann mit dem Aufbau der verschiedenen
Forschungsstationen. Seit diesem Zeitpunkt bestimmt die Natur, also
die Transpolardrift, die weitere Reise durch die Zentralarktis. Dabei
wird das Eis um das Forschungscamp immer dicker. Nur im Falle, dass
sich die Eisscholle dem Beaufortwirbel zu sehr nähern sollte, könnte
die Polarstern auch gegensteuern, um zu verhindern, dass sie von
diesem eingefangen wird. Die geplante Route Richtung Framstraße ist
somit also sichergestellt. Aktuell befinden sich die Forscher bei
etwa N86°40' E115°45' (siehe Abbildung). Während der Phase von Mitte
Februar bis Mitte Juni erreicht das Meereis eine Mächtigkeit, die
einen Vorstoß von Versorgungseisbrechern nicht mehr erlaubt, sodass
das Camp dann nur noch aus der Luft zu erreichen sein wird. Im Herbst
2020 wird die Polarstern schließlich zur Framstraße zwischen Grönland
und Spitzbergen gelangen, wo sie das Meereis wieder verlassen und im
Oktober in Bremerhaven einlaufen wird.
Im letzten Teil dieser Serie erfahren Sie demnächst mehr über die
Größenordnung der MOSAiC-Expedition und welcher immense logistische
und personelle Aufwand dazu notwendig ist.
Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 29.12.2019
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