Thema des Tages

21-11-2019 09:50

(Un)Wetterwarnungen des DWD - Teil 2: Gibt es die "perfekte Warnung"?


Heute erklären wir den Weg von einer groben Wettereinschätzung hin
zur Gemeinde-genauen Warnung.

Im Tagesthema vom 19. November 2019 wurde erklärt, dass
(Un)Wetterwarnungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) für
unterschiedlichste Zielgruppen relevant sein können. Heute geht es
darum, inwieweit die hohen Anforderungen erfüllt werden können, die
viele an diese Warnungen stellen.


Zusammengefasst sollte die Bevölkerung frühzeitig, präzise und
ortsgenau vor Wettergefahren informiert werden. Frühzeitig, damit
Großveranstalter sowie Privatpersonen rechtzeitig Schutzvorkehrungen
treffen können. Steht der Keller von Michael Nassfuß (Name fiktiv)
bereits unter Wasser, hilft ihm eine Starkregenwarnung nichts mehr.
Präzise, denn Aussagen wie "es wird stürmisch" oder "es schneit
kräftig" reichen nicht aus. So könnte man sich unter der ersten
Aussage stürmische Böen um 65 km/h oder schwere Sturmböen bis 100
km/h vorstellen. Würden bei ersterem nur Äste von Bäumen abbrechen,
können bei schweren Sturmböen Bäume umstürzen und Häuser beschädigt
werden. Zuletzt ist wichtig, WANN und WO mit gefährlichem Wetter zu
rechnen ist. Schneit es nur oberhalb von 800 m oder bis in die
Niederungen? Welche Orte genau werden vom Gewitter mit Hagel und
Sturmböen erfasst?


Vielleicht ahnen Sie bereits, dass die "perfekte Warnung", die alle
drei Anforderungen optimal erfüllt, kaum möglich ist. Dies
veranschaulicht die angefügte Grafik. Liegt das Wetterereignis noch
viele Tage in der Zukunft, ist die Unsicherheit groß, die Präzision
und Regionalisierung gering. Oft ist zu diesem Zeitpunkt noch unklar,
wie stark der vorhergesagte Sturm ausfällt, wohin er genau zieht oder
ob er überhaupt eintritt. Kurz vor Eintreffen des Unwetters kann es
zwar genau lokalisiert und dessen Stärke sicher und präzise
vorhergesagt werden, für eine Warnung wäre es aber möglicherweise
schon zu spät. Wie geht der DWD mit diesem Dilemma um?


Die Lösung ist ein dreistufiges Warnsystem. In Stufe 1, der
sogenannten "Wochenvorhersage Wettergefahren" werden mögliche
Wettergefahren der kommenden 7 Tage aufgeführt. Mithilfe der
Ergebnisse aus Vorhersagemodellen analysiert der
Mittelfristmeteorologe, wie sich die Wetterlage im Laufe der
kommenden Woche entwickelt und welche Wettergefahren zu erwarten
sind. Zur Beurteilung der Unsicherheit der Vorhersage, sichtet er
gleich mehrere Modelle verschiedener Wetterdienste. Sagt
beispielsweise das eine Modell in sechs Tagen eine schwere Sturmlage
vorher und ein zweites Modell eine ruhe Hochdrucklage, so ist die
Vorhersage offenbar noch sehr unsicher. Zusätzlich werden sogenannte
Ensembleprognosen betrachtet. Dabei handelt es sich um eine Vielzahl
von Vorhersagen des gleichen Modells mit leicht variierenden
Anfangsbedingungen. Je stärker sich die einzelnen Prognosen
unterscheiden, desto unsicherer ist die Prognose. Mit diesen
Informationen kann der Meteorologe nun Wahrscheinlichkeitsaussagen
treffen, ob beispielsweise ein Sturm wahrscheinlich ist und nur die
genaue Zugbahn und Intensität noch unsicher ist oder ob der Sturm nur
mit geringer Wahrscheinlichkeit kommt. Die "Wettervorhersage
Wettergefahren" liefert also frühzeitig Informationen, präzise und
ortsgenau sind diese aber noch nicht.


Maximal zwei Tage vor dem Wetterereignis beginnt Stufe 2, die
sogenannten "regionalen Warnlageberichte". Diese enthalten die
erwarteten warnwürdigen Wetterereignisse für jedes Bundesland. Nun
stehen den Meteorologen hochaufgelöste Vorhersagemodelle zur
Verfügung, mit denen die Intensität möglicher Wettergefahren meist
schon relativ präzise beurteilt und lokalisiert werden können.
Dennoch spielen Wahrscheinlichkeitsaussagen weiterhin eine wichtige
Rolle. Gerade bei Gewitterlagen kann man am Vortag zwar das Potential
und die Art der Gewitter (z.B. einzelne Zellen, Gewitterlinie) recht
gut einschätzen, wo die einzelnen Gewitter aber genau entstehen, weiß
man noch nicht. Erwarten wir eine überörtliche Unwetterlage, wird
zusätzlich zu den Warnlageberichten etwa 12 bis 24 Stunden im Voraus
eine "Vorabinformation Unwetter" (rot schraffierte Gebiete auf der
Warnkarte) sowie ein Unwetterclip erstellt, beides zu finden auf der
DWD-Homepage oder in der WarnWetter-App.


Die letzte Stufe ist die "Gemeinde-genaue (Un)Wetterwarnung", in
denen nun konkrete Angaben zur Stärke und Dauer der Wettergefahr
gemacht werden. Der Zeitpunkt der Ausgabe hängt allerdings vom
Wetterereignis ab. Bei einer relativ sicher eintretenden großräumigen
Sturmlage werden Warnungen bis zu 24 Stunden im Voraus ausgegeben.
Bei kleinräumigen Ereignissen (z.B. Gewitter) ist dies allerdings
nicht möglich. Erst mithilfe von Radar- und Satellitenbildern kann
die Zugrichtung und Intensität der Gewitter abgeschätzt werden.
Wetterstationen geben dabei Auskunft über gefallene Regenmengen und
Böen. Eine Gemeinde-genaue Gewitterwarnung kann daher erst einige
Minuten bis etwa eine Stunde vor Eintreffen erfolgen. Sie ist präzise
und ortsgenau, aber nicht mehr unbedingt frühzeitig.


Zum Schluss machen wir die Funktionsweise des dreistufigen
Warnsystems an einem Beispiel deutlich. Der Veranstalter eines großen
Volksfestes im Sommer kann bei Beachtung der Wochenvorhersage sich
bereits Tage zuvor auf eine mögliche gefährliche Wetterlage
einstellen. Am Vortag erhält er durch die Warnlageberichte und eine
mögliche Vorabinformation genauere Informationen zu potentiellen
Wettergefahren und kann Personal bereitstellen oder sonstige
Vorkehrungen für einen Notfall treffen. Die eigentliche
Gewitterwarnung hilft ihm letztendlich bei der Entscheidung zur
Evakuierung des Festivalgeländes.


Auch wenn jede dieser drei Stufen für sich gesehen unzureichend wäre,
kommt man mit deren Kombination den Anforderungen einer "perfekten
Warnung" möglichst nahe.


Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 21.11.2019

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