Thema des Tages

27-10-2019 10:20

Einfluss der variablen Sonnenaktivität auf die Erdatmosphäre, Teil 2

Im heutigen zweiten Teil werden konkrete Beispiele zum Thema aus der
Vergangenheit anhand von Klimasimulationen gezeigt. Außerdem wagen
wir nochmals einen Blick auf den kommenden Winter, mit Hinblick auf
das aktuelle solare Minimum.

Bevor wir mit dem zweiten Teil beginnen, soll noch die globale
stratosphärische Zirkulation benannt werden, die im gestrigen Thema
des Tages vom 26.10.2019 angedeutet wurde: es geht um die
Brewer-Dobson-Zirkulation, bei der durch die stärkere Erwärmung der
tropischen Stratosphäre (siehe Teil 1) eine polwärts gerichtete
Bewegung der Luftmassen in Gang kommt und dadurch u.a. auch
stratosphärisches Ozon zu den Polen transportiert wird.

Nun wollen wir zunächst zurück in die Erdgeschichte schauen und
eventuelle Schwankungen des Klimas anhand eines Beispiels versuchen
zuzuordnen. Man sagt ja immer so lapidar: Wenn man die Zukunft
verstehen will, muss man in die Vergangenheit schauen. Aber ist dem
wirklich so, oder müssen wir vielmehr versuchen die komplexen
Veränderungen zu verstehen?

Ein gutes Beispiel, um den Bezug zu verdeutlichen, ist die kleine
Eiszeit in Mitteleuropa im 16. und 17.Jahrhundert, die mit dem so
genannten Maunder-Minimum der Sonnenaktivität zusammenfällt, das um
das Jahr 1600 einsetzte.

Zwei Studien aus dem Jahre 2011 haben zwei höchst unterschiedliche
Werte für die Sonneneinstrahlung im Maunder-Minimum ermittelt. Die
eine kommt zu dem Schluss, die solare Strahlungsintensität sei damals
sehr viel geringer als heute gewesen. Die andere hat zum Ergebnis,
die Sonnenintensität sei in jener Zeit lediglich genauso gering
gewesen wie im außergewöhnlichen Sonnenminimum 2008/2009 (siehe
Grafik https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2019/10/26.html
). Konkret wurde ermittelt, wie sich diese sehr unterschiedlichen
Werte für die Sonneneinstrahlung auf die Temperaturen der
Nordhalbkugel in den vergangenen 1.000 Jahren ausgewirkt haben.

Hierfür speisten die Forscher die Daten zur solaren
Strahlungsintensität in ein Klimamodell ein, also in ein komplexes
Gleichungssystem, das im Computer die wichtigsten Klimaprozesse in
den Weltmeeren und in der Atmosphäre simuliert. Es berücksichtigt
dabei auch die Treibhausgaskonzentration und den kühlenden Effekt von
Schwefelsäuretröpfchen aus Vulkanausbrüchen. Die im Modell
berechneten Temperaturen verglichen die Forscher dann mit den aus
natürlichen Klimaarchiven wie Eisbohrkernen, Baumringen, Sedimenten
und Korallen rekonstruierten Temperaturen des letzten Jahrtausends.

Das Ergebnis: Die Werte aus der Studie, die eine extrem geringe
Sonneneinstrahlung in der kleinen Eiszeit fand, führten in der
Modellrechnung zu Temperaturen, die deutlich unter den tatsächlich
beobachteten liegen. Die Werte der anderen Studie hingegen, die
keinen großen Unterschied zwischen der Strahlungsintensität damals
und dem jüngsten Sonnenminimum sieht, führten im Modell zu
wirklichkeitsnahen Temperaturen (siehe auch Geophysical Research https://agupubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1029/2011GL048529
).

So, zurück in die Zukunft oder erweiterte Gegenwart: Momentan
befinden wir uns ja erneut in einem Minimum der Sonnenaktivität, das
ungefähr dem von 2009 entspricht. Was bedeutet das z.B. für den
kommenden Winter auf der Nordhalbkugel? Wie bereits im gestrigen
Thema des Tages vom 26.10.2019 angedeutet, könnte die Sonnenaktivität
bei der gegebenen Pattsituation anderer Antriebe (QBO (Quasi-Biennale
Oszillation, siehe Teil 1 Thema des Tages vom 26.10.2019), ENSO (El
NinJo-Southern Oszillation, siehe Link unten), NAO (Nordatlantische
Oszillation, siehe Link unten), Meeresoberflächentemperaturen) im
Klima-Roulette eine kleine Rolle spielen. Die Betonung liegt auf
kleine, da die positiven Temperaturanomalien weltweit und
insbesondere der Meeresoberflächen einer Abkühlung durch verstärkten
meridionalen Transport kalter Luftmassen aus polaren Breiten
entgegenwirken. Von daher wird das Ergebnis in diesem Winter
voraussichtlich gemischte Gefühle hervorrufen: Ja, er wird
voraussichtlich kälter als die letzten Winter in West- und
Mitteleuropa ausfallen, aber wohl trotzdem im Klimamittel normal bis
leicht zu mild bleiben.

Und letztendlich wird es aufgrund der verschiedenen komplexen und
teilweise gegenläufigen Einflüsse diverse Überraschungen geben, die
wortwörtlich in der Natur der Sache liegen.


Dr. rer. nat. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 27.10.2019

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