Thema des Tages
18-03-2019 15:50
Berlin-Eiskeller
Die Nacht neigt sich dem Ende entgegen. Flacher Nebel umhüllt in
samtigem Weiß die Wiesen und Felder. Die Grasspitzen sind von einer
mächtigen Reifschicht überzogen. Ein paar Wildschweine durchkämmen
mit deutlich sichtbarem Atem die Wälder nach etwas Essbarem. Im Osten
setzt die Morgendämmerung ein. Vom Fernsehturm, dem Brandenburger Tor
oder der Charite - unverkennbaren Merkmalen der Berliner Skyline -
ist allerdings nichts zu sehen, zu weit sind ihre Silhouetten
entfernt. Ein Szenario, wie es sich jeden Winter unzählige Male am
Nordwestrand der Bundeshauptstadt abspielt. Die Rede ist vom
sogenannten "Eiskeller".
Dabei handelt es sich um ein circa 50 Hektar großes Areal im
nordwestlichsten Zipfel des Berliner Stadtteils Spandau (Ortsteil
Hakenfelde), das aus Wiesen und Äckern besteht. Die dort platzierte
Wetterstation befindet sich 32 Meter über dem Meeresspiegel.
Eiskeller gilt im Winter neben dem Kaniswall am östlichen Stadtrand
als die kälteste Region Berlins. In klaren, windstillen Nächten
liegen die Temperaturen nicht selten bis zu 10 Grad unter denen im
Stadtzentrum.
Diese meteorologische Besonderheit (Mikroklima) machten sich die
Bauern aus der Gegend schon vor Jahrhunderten zu Nutze - und
"verhalfen" dem Eiskeller so zu seinem Namen. Überlieferungen zufolge
haben sie im Winter Eis aus dem nahe gelegenen Falkenhagener See
gehackt, in ihren Kellern zwischengelagert und schließlich an
Brauereien und Krankenhäuser verkauft.
Der heutige Eiskeller hieß früher Teufelsbruch. Das Gelände wurde
1830 unter 18 Staakenern (Ortsteil Spandaus) und Spandauern
aufgeteilt - als Tauschgelände für weit entfernte Grundstücke. Mit
dem Mauerbau wurde Eiskeller zur Exklave. Bis auf einen schmalen Weg
zur Schönwalder Allee war das Areal komplett von DDR-Gebiet umgeben.
Im Jahre 1971 und 1988 wurden die Eiskeller umgebenden Areale von der
DDR an das Land Berlin übergeben. 1959 lebten in Eiskeller sechs
Personen und auch heute sind es lediglich drei Familien. Mitte der
70er-Jahre bekamen die Bewohner Telefon. Die Bewag - der örtliche
Stromlieferant - nahm Eiskeller 1978 ans Netz.
Aufgrund seiner offensichtlich exponierten Lage, steht das Gebiet bei
Meteorologen seit jeher hoch im Kurs. Schon 1959 errichtete das
Meteorologische Institut der Freien Universität dort seine erste
Wetterstation. Ab 1981 stand die Station dann auf dem Grundstück von
Martin Schabe. Dreimal am Tag musste der Bauer die Temperatur
ablesen. Alle zwei Wochen kam ein Mitarbeiter der Universität
persönlich vorbei, um die ausgefüllten Tabellen abzuholen. Fast 15
Jahre hat Herr Schabe akribisch Buch geführt, Nächte mit minus 25
Grad waren dabei nichts Ungewöhnliches. Heutzutage wirkt diese
Aussage gefühlt wie ein Relikt vergangener Zeiten.
Zur meteorologischen Wahrheit gehört allerdings auch, dass in den
Sommermonaten von der Station Berlin-Eiskeller Hitzerekorde vermeldet
werden. So schnell und effektiv das von Wäldern umgebende
steppenartige Wiesen- und Ackerland bei klaren Verhältnissen nachts
auskühlt (langwellige Ausstrahlung), erwärmt es sich tagsüber bei
voller Sonneneinstrahlung auch. Aufgrund seiner isolierten,
windgeschützten Lage wird eine ausreichende Luftzirkulation
(Durchmischung) oftmals verhindert. Wie sagt man im Volksmund so
schön: "Die Luft steht!" - im wahrsten Sinne des Wortes. So wird aus
einem Eiskeller im Handumdrehen gewissermaßen ein "Schweißkeller".
Dipl.-Met. Robert Hausen
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 18.03.2019
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