Thema des Tages
25-01-2019 09:20
Polartiefs-kleine Wirbel in eisigen Gefilden
"Außertropischer Hurrikan", "Arktische Bombe", "Polartief" - dies
sind nur einige Begriffe für ein Wetterphänomen, das wiederholt in
arktischen, wie auch antarktischen Gebieten beobachtet wird. Im
heutigen Thema des Tages beschränken wir uns dabei auf den arktischen
Bereich zwischen Grönland und Norwegen, der die Grönlandsee und das
Europäische Nordmeer mit Spitzbergen umfasst. Ein Polartief wird laut
Rasmussen und Turner (2003) definiert als ein Tiefdruckgebiet mit
einem Durchmesser von meist weniger als 1000 km und mittleren
Bodenwinden von mindestens 55 km/h (Bft 7). Der Vollständigkeit
halber sei erwähnt, dass diese "Polartiefs" nichts mit dem
sogenannten "Polarwirbel" gemein haben. Während des Winterhalbjahres
erstreckt sich der Polarwirbel von der mittleren und oberen
Troposphäre bis in die Stratosphäre und beeinflusst das Wetter
langfristig und großräumig. Doch zurück zu den Polartiefs.
Bereits Mitte der 1950er Jahre gab es erste wissenschaftliche
Abhandlungen über Polartiefs, die z.B. von Dannevig (1954) als
"Labilitätstiefs" bezeichnet wurden. Er erkannte, dass diese
Tiefdruckwirbel häufig dann entstehen, wenn sehr kalte Luftmassen von
Norden über die eisfreie und somit (relativ gesehen) wärmere
Meeresoberfläche strömen (z.B: über die Grönlandsee). Das Wasser
erwärmt dabei nur die unteren Luftschichten. Die daraus resultierende
Temperaturabnahme mit der Höhe wird als "labil" bezeichnet (siehe DWD
Lexikon unter "Labile Schichtung"). Daher der Begriff
"Labilitätstiefs". Zu dieser Zeit überraschten diese kleinräumigen
und teils sehr kräftigen Tiefdruckgebiete wiederholt Seefahrer, da es
ja u.a. noch keine Satelliten zur Überwachung auf hoher See gab. Auch
an den Küsten konnte sich das Wetter mit Durchzug eines Polartiefs in
Form eines ausgewachsenen Schneesturms schlagartig verschlechtern.
Während der 1960er Jahre verbesserten sich jedoch die
Beobachtungsmöglichkeiten mit den polarumlaufenden Wettersatelliten
schlagartig. Sie umkreisen die Erde in rund 800 bis 1000 km Höhe und
decken auch die datenarmen Polargebiete ab. Durch diese war es nun
möglich, die Meeresgebiete meteorologisch engmaschig zu überwachen.
Dadurch kann die Entwicklung und Zugbahn der Wirbel gut verfolgt
werden. Auch die numerischen Wettermodelle verbesserten sich im
Verlauf der vergangenen Jahrzehnte immer weiter. Fielen früher die
kleinräumigen Tiefdruckgebiete durch die Maschen eines Wettermodells,
so arbeitet heutzutage z.B. das Norwegische Meteorologische Institut
mit "AROME-Arctic / MEPS", einem Wettermodell mit einer horizontalen
Modellauflösung von 2.5 km.
Die Entstehung und Verstärkung von Polartiefs ist von mehreren
Ursachen abhängig, die Gegenstand laufender Forschung sind. Die
wichtigsten Gründe für die Entstehung werden an Hand eines
Wetterfalls von Mitte Januar 2019 gezeigt, als gleich mehrere
Polartiefs zwischen Grönland und Norwegen gesichtet wurden.
In Bild I wird als Flächendarstellung die Temperaturverteilung in 850
hPa (rund 1.5 km über Meeresniveau) sowie als Zahl die vorhergesagte
Wasseroberflächentemperatur abgebildet. Von Norden strömt dabei
arktische Kaltluft in Richtung Norwegen und überstreicht nach Süden
zu die immer wärmer werdende Meeresoberfläche. Durch diese vertikalen
Temperaturunterschiede ist eine Labilisierung der Luftmasse
gewährleistet und es können sich hochreichende Schauer- und
Gewitterwolken bilden. Sobald sich diese um ein Polartief bilden,
kommt es durch die freigesetzte latente Wärmeenergie zu einer
Intensivierung des Wirbels. Näheres finden Sie im DWD Lexikon unter
"Latente Wärmeenergie".
Des Weiteren bilden sich solche Polartiefs gerne entlang sogenannter
"Konvergenzzonen". Dies sind Bereiche, in denen sich der Wind mit der
Richtung ändert (zusammenströmen) und auch unterschiedliche
Windgeschwindigkeiten aufweisen kann. In Bild II ist eine solche
Konvergenz weiß eingezeichnet. Westlich davon weht kräftiger Nord-
bis Nordostwind mit stürmischen Böen von mehr als 70 km/h. Östlich
davon tritt nur schwacher Wind aus östlicher Richtung auf.
Meteorologische Gründe, wieso sich die Luftmassen verwirbeln, gibt es
viele, sie würden jedoch die Beitragslänge sprengen.
Zuletzt sollten nicht nur vertikale, sondern auch horizontale
Temperaturkontraste vorhanden sein, wie in Bild III ersichtlich.
Während die arktische Kaltluft von unter -20 Grad vom Grönländischen
Eisschild und dem Meereis nach Süden strömt, ist die Luftmasse über
dem Ozean deutlich "milder". Die sich entwickelnden Polartiefs
beziehen ihre Energie nun teilweise aus diesen Temperaturkontrasten,
teilweise aber auch aus der die Tiefs begleitenden Konvektion. In
seltenen Fällen wird auch ein "Auge" ausgebildet, das auf
Satellitenbildern Ähnlichkeiten zu tropischen Wirbelstürmen
hervorruft. Auch auf Bild III ist eine solche Augenbildung
ansatzweise zu erkennen, während das Polartief entlang der
Meereiskante nach Südwesten driftet.
Sobald die Wirbel die wärmende Meeresoberfläche verlassen, schwächen
sie sich über Land zügig ab.
Die jährliche Anzahl an Polartiefs im Gebiet zwischen Grönland und
Norwegen schwankt in Studien mit 15 bis 60 Ereignissen stark und
hängt vom jeweiligen Schwellenwert ab, ab welcher Windgeschwindigkeit
ein solches klassifiziert wird. Obwohl sie das ganze Jahr über
auftreten können, liegt die Hauptsaison im Winter und Frühjahr.
Vielleicht ergibt sich ja daher in den kommenden Wochen erneut die
Möglichkeit ein Polartief auf Satellitenbildern zu beobachten?!
Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 25.01.2019
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