Thema des Tages
17-01-2019 09:20
DONALD versus ANGELA: Überfall!
Vom 9. auf den 10. Januar 2019 entwickelte sich über der Grönlandsee
ein gewaltiges Orkantief, das vom Institut für Meteorologie der FU
Berlin den Namen DONALD erhielt. Es beeinflusste ein Gebiet zwischen
Spitzbergen und dem Europäischen Nordmeer. Doch wie kam es zu dieser
explosiven Tiefdruckentwicklung (auch als "rapide Zyklogenese"
bekannt) mit einem Kerndruck, der innerhalb von 18 Stunden von 990
hPa auf etwas unter 950 hPa fiel?
Im Anhang sind in Bild 1 die wichtigsten Zutaten für solch eine
heftige Tiefdruckentwicklung stark vereinfacht zusammengefasst.
Zunächst bedarf es eines markanten Nord-Süd-Gefälles der Temperatur.
Die großen Zahlen entsprechen der Temperaturverteilung in rund 1,5 km
über Grund. Man erkennt, dass im Umfeld von Grönland eisige
Winterluft mit Werten von unter -20 Grad herrschten (die Werte über
Grönland sind wegen der Orografie von teils mehr als 3000 m nicht
alle repräsentativ), während über Island milde Luft mit deutlichen
Plusgraden nach Norden vorstieß. Gleichzeitig wehte in rund 9 km über
Grund ein sehr kräftiger Westwind, der sogenannte "Polarfrontjet".
Dieser wird durch die pinke Flächenfarbe dargestellt, wobei die
schwarzen Linien die Druckverteilung in dieser Höhe angeben. Eng
beieinanderliegende Linien sind gleichbedeutend mit einem starken
Druckunterschied und hohen Windgeschwindigkeiten. Gemessen wurden zu
der Zeit in diesem Höhenbereich Maxima von mehr als 250 km/h! Wenn
sich nun ein Tiefdruckgebiet im richtigen Bereich unter einem solchen
Starkwindband bildet, kann es in Verbindung mit dem vorhandenen
Temperaturgradienten zu solch einer explosiven Entwicklung kommen.
In Bild 2 ist die Lage des Orkantiefs östlich von Grönland mit Hilfe
von Isobaren (Linien gleichen Luftdrucks) dargestellt, wobei die
Isobaren zwischen 980 hPa und 1020 hPa entfernt wurden. In
Flächenfarbe sind die vom deutschen Wettermodell ICON (horizontale
Auflösung von 13 km) erwarteten Windböen in km/h eingetragen. Wenig
überraschend werden im Bereich mit der stärksten Isobarendrängung
westlich des Tiefzentrums schwere Sturmböen bis Orkanböen erwartet.
Es fällt aber auch ein Bereich entlang der Ostküste Grönlands mit
einer Schliere an hohen Windgeschwindigkeiten ins Auge, die sich
nördlich von Island nach Osten ausbreitet (siehe weißer Kasten). Bei
diesen Winden handelt es sich um katabatische Fallwinde entlang der
Ostküste (Griechisch: katabatikos - herunterfließend). Man kann sich
das recht einfach vorstellen: Über Grönland lagert eiskalte
Festlandsluft, die nur einen Grund benötigt, um am Ostrand von
Grönland dank ihrer höheren Dichte und der Gravitation folgend zum
Meer herunterzufallen und durch der daraus resultierende
Beschleunigung an Geschwindigkeit zuzulegen. Solch einen Grund
liefert der fallende Luftdruck vor der Ostküste Grönlands, sodass die
Festlandsluft regelrecht zum Meer gesogen wird und durch die komplexe
Orografie lokal extreme Windgeschwindigkeiten auftreten können.
Dieser Fallwind ist unter dem Namen "Piteraq" bekannt und bedeutet im
Grönländischen "das, was einen überfällt". Der Name zeigt bereits,
dass dieser Wind urplötzlich und mit großer Gewalt über die
Küstenbereiche hereinbrechen kann.
Der eingezeichnete hellblaue Pfeil zeigt die Zugbahn eines
Sturmtiefs, das am 6. Februar 1970 für den bisher stärksten
beobachteten Piteraq verantwortlich war, wobei ein Windmesser vor Ort
bei unglaublichen 252 km/h zerstört wurde. Die eigentlichen
Windgeschwindigkeiten dürften noch viel höher gelegen haben. Der
orange Pfeil zeigt hingegen ein Sturmtief am 20. September 2003, der
einen Piteraq im Herbst auslöste. Der dadurch aufgewirbelte Schnee
war in dem zu dieser Jahreszeit noch vorhandenen Tageslicht und somit
auch auf Satellitenbildern sehr schön zu erkennen (siehe Bild 3).
Das aktuelle Tief DONALD entwickelte sich im Vergleich zu den
eingezeichneten früheren Sturmtiefzugbahnen nördlicher. Damit fiel
der Luftdruck vor der zentralen Ostküste Grönlands weniger stark,
sodass kein rekordverdächtiger Piteraq auftreten konnte. Dennoch
zeigte ICON Windspitzen von mehr als 200 km/h, was auch vom Dänischen
Meteorologischen Institut (DMI) mit Windspitzenvorhersagen von
örtlich mehr als 230 km/h bestätigt wurde. Da der dänische
Wetterdienst mittlerweile dort, wo der Piteraq wiederholt auftritt,
das Wettermodell "Harmonie-TAS" mit einer horizontalen Auflösung von
750 m verwendet, können die Piteraq-Ereignisse und die in diesem
Zusammenhang zu erwartenden Maximalwinde immer besser vorhergesagt
werden.
DONALD zog in den Folgetagen weiter nach Osten und peitschte über der
südlichen Grönlandsee und dem Nordteil des Europäischen Nordmeeres
gewaltige Wellen auf. Die Vorhersagemodelle reagierten darauf mit
signifikanten Wellenhöhen von mehr als 14 m, mit einzelnen
Wellenspitzen von mehr als 25 m (siehe DWD-Lexikon, Stichwort
"Signifikante Wellenhöhe")! Wehe dem, der bei diesen Bedingungen auf
hoher See unterwegs war.
Das Tief schwächte sich dann am vergangenen Wochenende sukzessive ab,
nistete sich über Nordskandinavien ein und sorgte als Gegenpart zum
ausgeglichenen und beständigen Azorenhoch ANGELA für die unbeständige
Nordwestwindwetterlage in Deutschland, die wiederum die heftigen
Schneefälle im Alpenraum weiter forcierte. Man kann nur froh sein,
dass sich der cholerische DONALD größtenteils über den Weiten des
Meeres ausgetobt hat!
Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 17.01.2019
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