Thema des Tages

19-12-2018 09:50

(Klima-)Michel fühlt sich wohl

Michel geht im Freien spazieren, ist 35 Jahre alt, 1,75m groß, 75kg
schwer und mit einem wollenen Anzug mit Wintermantel, Kopfbedeckung
und warmen Schuhen bekleidet. Hierbei handelt es sich nicht um eine
Vermisstenanzeige der Polizei und der Autor spricht auch nicht von
seinem gleichnamigen Bruder. Die Rede ist vom sogenannten
"Klima-Michel-Modell" zur Bewertung des Wärmeempfindens von Menschen
im Freien.


Sicherlich haben Sie sich beim Blick auf das Thermometer schon öfters
gewundert. Mal kommen Ihnen im Sommer 27 Grad gerade angenehm vor,
ein anderes Mal fühlen sich 23 Grad "drückend schwül" an. Genauso
können Sie sich im Winter mit der richtigen Kleidung selbst bei
leichten Frostgraden wohlfühlen, während Sie bei einem kalten Wind
und +5 Grad bereits frieren oder bei neblig-trüben Verhältnissen das
Wetter als "nasskalt" empfinden.


Hierzulande erhalten Sie in den meisten Wettervorhersagen zwar
präzise Informationen zur Temperatur für Ihre Region. Ob Sie eine
bestimmte Lufttemperatur aber als angenehm oder unangenehm empfinden,
hängt entscheidend von der Windgeschwindigkeit, der Luftfeuchtigkeit,
der Sonneneinstrahlung und der Wärmestrahlung der Atmosphäre ab. Die
Kombination dieser Faktoren ist in der "gefühlten Temperatur"
enthalten, die das thermische Empfinden des Menschen beschreibt und
je nach Wetterbedingungen stark von der gemessenen Lufttemperatur
abweichen kann.


Damit der Körper nicht auskühlt und sich auch nicht zu stark
aufheizt, besitzt der menschliche Organismus eine Reihe von
Regulationsmechanismen. Beispiele hierfür sind bei warmen
Umgebungsbedingungen das Schwitzen zur Abkühlung an der
Hautoberfläche oder eine Gänsehaut bei Kälte. Diese und weitere
Regulationen haben das Ziel, den Wärmegewinn und die Wärmeabgabe des
Menschen im Gleichgewicht zu halten. Zur Berechnung dieses
Gleichgewichtszustands verwendet der Deutsche Wetterdienst (DWD) das
Wärmehaushaltsmodell "Klima-Michel". Dieses Modell berechnet den
Energieumsatz einer Standardperson, die den aktuellen
Wetterbedingungen ausgesetzt ist. Sie ist männlich, besitzt obige
Körpereigenschaften und bewegt sich mit einer konstanten
Geschwindigkeit von 4 km/h (Schrittgeschwindigkeit). Um realistische
Bedingungen zu erzeugen, wird angenommen, dass der Klima-Michel seine
Kleidung dem Wetter anpasst. Trägt er im Winter die Kleidung der
obigen Personenbeschreibung, so geht der Modellmensch im Sommer mit
einem kurzärmligen Hemd, einer leichten langen Hose und Sandalen
spazieren.


Berechnet nun das Modell eine gefühlte Temperatur zwischen 0 und 20
Grad, so wird dies als behaglich eingestuft, da der Mensch
(angemessene Kleidung vorausgesetzt) üblicherweise wenig Energie
aufbringen muss, um den Wärmehaushalt des Körpers im Gleichgewicht zu
halten. Übersteigt die gefühlte Temperatur diese Temperaturspanne,
wird dies als Wärmebelastung empfunden, während man bei einer
gefühlten Temperatur unter 0 Grad einem Kältestress ausgesetzt ist.
In beiden Fällen verlässt der Mensch seine Komfortzone, was bei
zunehmender Abweichung eine Belastung für Herz und Kreislauf
darstellt. Natürlich ist sowohl der Kältestress als auch die
Wärmebelastung bei jedem Menschen individuell und hängt nicht nur vom
Alter und den Körpereigenschaften, sondern auch von der körperlichen
Aktivität ab. Dennoch stellt die gefühlte Temperatur ein objektives
Durchschnittsmaß dar.


Im Winter beeinflussen vor allem Feuchtigkeit (feuchte Kaltluft fühlt
sich kälter an als trockene Kaltluft) und Wind die gefühlte
Temperatur. Bei frostigen Temperaturen verstärken hohe
Windgeschwindigkeiten die Auskühlung über die Haut erheblich und es
kann schnell zu Erfrierungserscheinungen an ungeschützten
Körperteilen kommen. Dieser Effekt kann alternativ auch durch den
"Wind Chill Index" beschrieben werden, worauf hier aber nicht näher
eingegangen wird. Im Sommer spielen zudem die Sonneneinstrahlung und
die Wärmestrahlung der Atmosphäre eine wichtige Rolle. Der DWD stellt
Ihnen im Internet (siehe Link) und in der WarnWetterApp (unter
"Naturgefahren") Farbkarten zum thermischen Empfinden zur Verfügung
und Sie können sich für Ihre Favoriten im Bereich "Warnungen" auch
eine Zeitleiste für Ihren gewünschten Ort anzeigen lassen. Im Sommer
gibt der DWD bei einer länger anhaltenden starken oder extremen
Wetterbelastung zudem Hitzewarnungen aus.


Bei den aktuell eher milden Temperaturen ist das thermische Empfinden
mittags vielerorts behaglich und nur nachts und am Vormittag leicht
kühl. Sehen Sie es also positiv: Es gibt zwar dieses Jahr in den
meisten Regionen grüne Weihnachten, dafür können Sie Ihren
nachmittäglichen Verdauungsspaziergang an den Weihnachtstagen
wahrscheinlich in ihrer thermischen Komfortzone machen ;-).


Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 19.12.2018

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