Thema des Tages

25-08-2018 15:20

"Strahlströme" oder "Jetstreams"

Unter "Strahlströmen" bzw. englisch "Jetstreams" versteht man im
Allgemeinen in der Atmosphäre auftretende Starkwindbänder mit quasi
horizontaler Strömungsachse und extrem hohen Windgeschwindigkeiten,
wie sie sonst auf der Erde nur in Tornados vorkommen. Sie haben
normalerweise Ausdehnungen von einigen 1000 km Länge, sind in der
Horizontalen einige 100 km breit und in der Vertikalen wenige
Kilometer mächtig. Mit etwas Phantasie kann man sich ihre Gestalt
bzw. ihr räumliches Geschwindigkeitsprofil als langen, flachen
Schlauch, Strang oder eben als Band vorstellen, in dem die Strömung
von den Rändern zum Zentrum hin immer schneller wird.

Per definitionem weisen Strahlströme Windgeschwindigkeiten von
mindestens 30 m/s (also 108 km/h, d.h. Orkanstärke!) auf, häufig
werden Geschwindigkeiten von 70 bis 100 m/s (das entspricht ca. 250
bis 360 km/h) erreicht und die Höchstwerte dürften um 180 m/s (rund
650 km/h) liegen. Da die Strömungsgeschwindigkeit sowohl in
vertikaler als auch in horizontaler Richtung zu den Rändern hin rasch
abnimmt, herrschen in Strahlströmen starke Windscherungen vor. In der
Erdatmosphäre existieren verschiedene Strahlstromsysteme, von denen
der "Polarfront-Jetstream" oder einfach kurz "Polarjet" genannte, für
die synoptisch-meteorologischen Prozesse in den mittleren Breiten am
bedeutsamsten ist.

Der Polarfront-Jetstream verläuft generell in den höheren
Mittelbreiten und liegt mit seiner Achse dicht unterhalb einer als
"Tropopause" bezeichneten, und mit Abschwächung, Isothermie oder
Umkehr des vertikalen Temperaturgradienten einher gehenden, die
Obergrenze der Troposphäre bildenden Schicht. Die Breitenlage des
Polarfrontstrahlstroms ist eng mit derjenigen der Polarfront
verbunden, dem Übergangsbereich zwischen warmen, ursprünglich
(sub-)tropischen und kalten Luftmassen (sub-)polaren Ursprunges. An
der Polarfront bilden sich die das veränderliche Wetter der
gemäßigten Breiten verursachenden, im Mittel von West nach Ost
verlagernden und einander abwechselnden Hoch- und Tiefdruckgebiete,
die den meridionalen Temperaturausgleich bewerkstelligen. Dabei
gelangt an der Ostseite ("Vorderseite") der Tiefdruckgebiete warme
Luft nordwärts und auf der Westseite ("Rückseite") kalte Luft nach
Süden.

Diese in der bodennahen Troposphäre recht kompliziert und
fragmentiert anmutende Struktur von Druckgebilden und Fronten wird
von der in den höheren Schichten normalerweise weniger deformierten
und eher "glatten" Höhenströmung sozusagen mitgeschleppt bzw.
"gesteuert", wobei das Niveau mit der größten Impulsdichte sich in
etwa 5,5 km Höhe befindet und in den für die Wetteranalyse und
?prognose wichtigen Höhenwetterkarten durch die
500-hPa-Hauptdruckfläche ("Standardsteuerungsfläche") repräsentiert
wird.

Die Windgeschwindigkeiten der aufgrund horizontaler
Temperaturdifferenzen und daraus resultierender, sich mit der Höhe
verschärfender Druckunterschiede zwischen den Warm- und
Kaltluftmassen vorhandenen, dem Corioliseffekt geschuldeten
Höhenströmung, nehmen generell in der Vertikalen zu und erreichen ihr
Maximum eben mit den Strahlströmen in Tropopausennähe. Da polwärts
gerichtete Warmluftvorstöße und äquatorwärts voran kommende
Kaltluftausbrüche die breitenkreisparallele Gestalt der Frontalzone
deformieren, schlängeln sich auch die korrespondierenden
Polarfrontstrahlströme als wellenförmige, bisweilen jedoch
unterbrochene Starkwindbänder um beide Hemisphären der Erde. Auf der
Nordhalbkugel schwankt ihr Auftreten insgesamt zwischen etwa 40 und
70° nördlicher Breite, im Winter liegt der Polarjet im Mittel weiter
südlich und ist aufgrund der größeren Temperaturunterschiede zwischen
den Luftmassen stärker ausgeprägt als im Sommer.

Neben steuernden Effekten auf das Bodendruckfeld haben Strahlströme
unmittelbaren Einfluss auf und große Bedeutung für die moderne
Luftfahrt, denn einerseits müssen Starkwindfelder bei der Flugplanung
und Navigation berücksichtigt werden und andererseits stellt die
durch die starken Windscherungen in Strahlströmen auftretende
Turbulenz (englisch "Clear Air Turbulence", abgekürzt CAT) eine nicht
zu unterschätzende Gefahr für den Luftverkehr dar. In der
beistehenden Abbildung finden Sie oben eine in der Flugwetterberatung
übliche "Significant Weather Chart" für den 20.08.2013, 12:00 Uhr
UTC, in der für Luftfahrzeuge potentiell gefährliche
Wettererscheinungen prognostiziert werden. Von Skandinavien bis in
den zentralen Mittelmeerraum erstreckt sich ein scharfer Trog, dem in
Flight Level 360 (FL360, d.h. bei etwa 12000 m Höhe) ein Jetstream
mit über 100 Knoten (ca. 185 km/h bzw. ca. 50 m/s) folgt, der ein
CAT-Gebiet verursacht. Auf dem Satellitenbild darunter zeigt sich der
Jet anhand der scharfen Cirruswolkenkante über Böhmen und dem
Alpenraum.

Dipl.-Met. Thomas Ruppert
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 25.08.2018

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