Thema des Tages
16-07-2018 08:50
Heinrichsflut
Das Drama ereignet sich am 16. Juli 1965 ? also vor genau 53 Jahren.
Bei Tagesanbruch wird es kaum hell, selbst tagsüber ist zeitweise die
Straßenbeleuchtung eingeschaltet. Dann öffnet der Himmel seine
Schleusen - über mehrere Stunden hält der gewittrige Starkregen an
und verwandelt sonst so beschauliche Flüsse wie Twiste, Diemel, Lippe
und Altenau in reißende Ströme. Ortschaften sind von der Außenwelt
abgeschnitten, Menschen in den Fluten eingeschlossen. Vielerorts
heulen die Sirenen pausenlos, der Katastrophenalarm wird ausgelöst.
Besonders schwer betroffen sind Teile Ostwestfalens,
Südniedersachsens, Nordhessens, der Nordosten Thüringens, der Süden
Sachsen-Anhalts bis nach Sachsen hinein. 16 Menschen lassen in den
Fluten ihr Leben.
Diese Katastrophe ging als "Heinrichsflut" in die Geschichtsbücher
ein, da sie kurz nach dem Todestag (13. Juli 1024) des
römisch-deutschen Kaisers Heinrich II. ihren Anfang nahm. Seltener
findet man auch die Begriffe "Julihochwasser" beziehungsweise
"Schwarzer Freitag von Waldeck" in diesem Zusammenhang.
Ausgangspunkt dieser Tragödie war eine Wetterlage, die der aktuellen
brisanterweise gar nicht mal so unähnlich ist. Dabei blockiert ein
Hoch über der Norwegischen See respektive Skandinavien atlantische
Tiefdruckgebiete, die über Frankreich bis ins westliche Mittelmeer
ausweichen müssen. Durch diese Konstellation bauen sich über
Deutschland in der Regel starke Temperaturkontraste auf, wenn
trocken-kühle Luft am Rande des Hochs aus Skandinavien auf
feucht-warme Luft mit Ursprung aus dem zentralen Mittelmeer trifft.
Zünglein an der Waage spielte damals zudem noch ein sogenannter
"Kaltlufttropfen" (Erklärung siehe z.B. Thema des Tages vom
24.01.2017), der sich von Frankreich den betroffenen Regionen näherte
und die Entwicklung kräftiger Regenfälle begünstigte. Zudem sorgten
häufige Niederschläge im zurückliegenden Zeitraum bereits für volle
Flüsse und gesättigte Böden. In Ostwestfalen fielen beispielsweise
binnen 2 Tagen (15./16. Juli 1965) in Lichtenau/Westfalen 179 Liter
pro Quadratmeter, in Büren 176 l/qm, in Paderborn 172 l/qm - der
Großteil davon binnen weniger Stunden. Werte, die mehr als dem
Doppelten entsprechen, was sonst in einem durchschnittlichen Juli in
der Region zu erwarten ist. Nicht unerwähnt soll die nachteilig
wirkende Orographie sein, denn viele Ortschaften befinden sich in
einer Kessellage, die sich im Falle kräftiger Niederschläge wie eine
Badewanne von allen Seiten füllt.
Auch wenn aktuell über dem Süden und Teilen der Mitte Deutschlands
eine ähnlich energiereiche Luftmasse lauert, die sich am heutigen
Montagnachmittag lokal wieder in Form unwetterartiger Starkregenfälle
entlädt - räumliche Ausdehnung und absolute Mengen werden
glücklicherweise bei weitem nicht die Ausmaße der "Heinrichsflut"
erreichen. Nicht zuletzt dank infrastruktureller Anpassungsmaßnahmen
(z.B. Schaffung großer Rückhaltebecken) wurden in der Vergangenheit
zahlreiche Anstrengungen unternommen, um das Risiko vergleichbarer
Auswirkungen in Zukunft zu minimieren.
Dipl.-Met. Robert Hausen
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 16.07.2018
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