Thema des Tages

08-12-2017 14:40

Die Nordmanntanne im Windkanal: Wie viel Wind verträgt ein
Weihnachtsbaum?

Weihnachtsmärkte haben für viele Menschen einen ganz besonderen Reiz:
Die schöne Beleuchtung und die weihnachtliche Musik steigern zusammen
mit Glühwein- und Lebkuchengeruch die Vorfreude auf das
Weihnachtsfest. Etwas darf dabei sowohl auf den Weihnachtsmärkten als
auch in vielen Wohnzimmern nicht fehlen: der Weihnachtsbaum. Rund 30
Millionen Stück werden in Deutschland jährlich verkauft. Ist dieser
im heimeligen Wohnzimmer höchstens dem zwischenmenschlichen Chaos und
Tumult besonders an den Feiertagen ausgeliefert, hat er draußen mit
der launischen Mutter Natur, mit Wind und Wetter zu kämpfen.

Letzten Punkt haben Wissenschaftler der FH Aachen nun zum Gegenstand
ihrer Forschung gemacht und untersucht, wie sich ein Weihnachtsbaum
im Sturm verhält. Dafür haben sie eine Nordmanntanne in einen
Windkanal gestellt und Windgeschwindigkeiten von über 80 km/h
ausgesetzt und den Staudruck gemessen, der sich bei unterschiedlichen
Strömungsgeschwindigkeiten aufbaut. Aus diesem Staudruck lässt sich
der sog. "Widerstandsbeiwert" (oder auch
Strömungswiderstandkoeffizient, cw-Wert) ermitteln. Dieser Wert ist
eine dimensionslose aerodynamische Größe zur Angabe des Widerstandes
bei der Umströmung von Körpern.
Das Ergebnis war ganz im Sinne echter "Weihnachtswissenschaft":
voller Überraschungen. Der Tannenbaum weist einen Widerstandsbeiwert
von etwa 0,8 auf. Das sagt Ihnen erstmal nichts? Dann ein kleiner
Vergleich: Es entspricht dem Luftwiderstand eines kantigen LKWs, der
ebenfalls einen cw-Wert von 0,8 hat. Ein modernes Auto liegt hingegen
bei 0,3 und ein Pinguin ist mit einem cw-Wert von nur 0,03 besonders
"windschnittig".

Mit einem so "schlechten" Ergebnis hatten die Wissenschaftler nicht
gerechnet, denn bisher war man von einem wesentlich niedrigeren Wert
ausgegangen - und entsprechend schwächer sind auch die nötigen
Verankerungen der Weihnachtsbäume auf Weihnachtsmärkten bemessen
worden.

Das Versuchsobjekt an der Fachhochschule Aachen war zwar nur 1,20 m
hoch, die Ergebnisse lassen sich aber auf größere Bäume
hochskalieren. Ein zehn Meter hoher Baum müsste im konkreten Fall mit
zehn bis zwölf Tonnen Gegengewicht verankert werden, das ist deutlich
mehr als bisher angenommen. Natürlich kommt es auch auf den genauen
Standort des Weihnachtsbaumes an: Steht er windgeschützt oder in
einer Schneise zwischen Häusern, wo der Wind aufgrund des
Düseneffektes so richtig durchpfeift (z.B. wie auf der Zeil in
Frankfurt)?

Normalerweise werden in einem Windkanal Versuche aus den Bereichen
Luft- und Raumfahrt- sowie Automobil- und Motorradtechnik
durchgeführt; also z.B. der Luftwiderstand von Autos oder Flugzeugen
untersucht. Ein Tannenbaum hingegen hatte bis dahin noch keinen Weg
in den Windkanal gefunden. Umso spezieller waren die Vorkehrungen,
die für den Versuch getroffen wurden: Damit die Tannennadeln nicht
überall herumfliegen, wurden sie vorher mit mehreren Dosen Klarlack
fixiert. Getestet wurde bis zu einer Windgeschwindigkeit von gut 80
km/h (Bft 9), da ab dieser Schwelle auf den meisten Weihnachtsmärkten
die Buden geschlossen werden.

Dass Winterstürme Christbäume zum Umstürzen bringen, ist leider keine
Seltenheit. Erst letztes Jahr ist der fast zehn Meter hohe
Weihnachtsbaum auf dem Aachener Markt umgekippt, vorletztes Jahr die
28 Meter hohe Tanne (zum Glück vor Eröffnung des Weihnachtsmarktes)
in Erfurt. Auch derzeit bringt Sturmtief WALTER die Tannenbaumspitzen
gehörig ins Wanken. Aber mit der neuen
"Weihnachtsbaum-Ballast-Kalkulation" kann nun hoffentlich Schlimmeres
verhindert werden.

Dipl.-Met. Magdalena Bertelmann
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 08.12.2017

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