Thema des Tages
26-06-2017 14:40
Ein natürlicher Kühlschrank im Wald
Einige unter uns Vorhersagemeteorologen sind schon eine besondere
Spezies. Fahren wir in den Urlaub, denken wir häufig über das Wetter
nach, machen unsere persönlichen Vorhersagen, um Tagesausflüge zu
planen, und können dennoch - oder gerade deswegen? - entspannen. Auf
einem Waldweg im Naturpark Sölktäler in der Steiermark entdeckte ich
kürzlich eine wahre Besonderheit. Obwohl die Sonne auf uns nieder
brutzelte und es sehr warm war, ließ es sich im Wald sehr gut
aushalten. Nicht nur herrschte dort Schatten und ein naher
Gebirgsfluss kühlte mit seinem frischen Wasser die Luft, auch mitten
im Wald trat aus Löchern im dortigen sogenannten
"Fichten-Kondenswassermoor" kalte Luft aus. Ursache dafür ist der
sogenannte "Windröhreneffekt".
Kaum vorstellbar, dass die Sonne der Motor für diesen Effekt ist,
denn ein gewisses Temperaturgefälle muss vorhanden sein, damit der
"Windröhreneffekt" zum Tragen kommt. Weitere Bedingungen müssen
jedoch auch erfüllt sein. Aber zurück zum Anfang: Das
"Kondenswassermoor" ist ein sehr seltener Moortyp. Bisher sind nur
sechs dieser Moore bekannt, die allesamt in Österreich liegen.
Voraussetzung für die Entstehung dieses Moores ist eine sogenannte
"Blockhalde", eine große Ansammlung von Steinblöcken, welche
mindestens einen Durchmesser von 20 Zentimetern besitzen. Diese
Blockhalde muss zudem ein Gefälle von mehr als 33 Grad und somit
einen großen Höhenunterschied aufweisen. Auf die Vegetation des
Fichten-Kondenswassermoors soll im heutigen Thema des Tages nicht
weiter eingegangen werden. Viel interessanter für uns Meteorologen
ist der erwähnte "Windröhreneffekt". Durch die Sonneneinstrahlung an
heißen Sommertagen wird die Luft an der Oberfläche der Halde erwärmt
und steigt auf. In den Hohlräumen zwischen den Steinblöcken im
Inneren der Halde bleibt die Luft jedoch kühl, da sie von der
Einstrahlung abgeschottet ist. Je wärmer es in der Umgebung ist,
desto größer ist das Temperaturgefälle zwischen Innerem und Äußerem
der Halde. Da kalte Luft schwerer als warme Luft ist, sinkt die kühle
Luft im Inneren der Halde nun zu ihrem Fuße der Blockhalde. Dort baut
sich ein großer Druck auf und die kalte Luft wird aus den Öffnungen
der Halde heraus gepresst ("Windröhreneffekt"). Dabei dehnt sie sich
abrupt aus und kühlt sich dadurch noch mehr ab. Diese
Austrittsöffnungen werden "Kaltluftlöcher" genannt. Die warme
Außenluft wird hingegen im oberen Haldenbereich angesaugt und so
bleibt die Luft in der Halde beständig in Bewegung.
Wie kommt es nun zur Kondensation, wodurch das "Kondenswassermoor"
seinen Namen erhält? Die angesaugte warme Außenluft strömt durch das
Gangsystem im Inneren der Halde. Das unterirdische Wasser beginnt zu
verdunsten. Dadurch wird Energie verbraucht, die wiederum einen
starken Abkühlungsprozess bewirkt. Die Luft kühlt sich dabei weiter
ab, fließt noch schneller zum unteren Ende der Halde und es baut sich
dort ein noch höherer Druck auf. Dadurch kühlt sich die Luft beim
Ausströmen aus der Halde (schlagartiges Ausdehnen) noch stärker ab.
Direkt am Kälteloch wird die warme Außenluft sodann durch die
austretende kühle Haldenluft zum Kondensieren gebracht. Selbst an
heißen Sommertagen beträgt die Temperatur an der Ausströmöffnung der
Blockhalde nur wenige Plusgrade. In Extremfällen kann es dazu kommen,
dass dort sogar kleine Eiszapfen entstehen!
Die Sonne spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Ohne ihren
Einfluss käme die Temperaturdifferenz nicht zustande und der
Windröhreneffekt sowie die Kondensation an den Austrittsöffnungen
blieben aus.
Und was hat es nun mit dem "natürlichen Kühlschrank im Wald" auf
sich? Der beschriebene Effekt ist der Funktionsweise eines
Kühlschranks ähnlich. So haben sich früher die Almbauern und
Bergbewohner diesen Effekt zunutze gemacht und ihre Vorräte in den
Kältelöchern gekühlt. Wäre es nicht schön, wenn wir in unseren
Großstädten an den gegenwärtigen heißen Sommertagen auch solch
natürliche Kaltluftlöcher hätten?
Dipl.-Met. Julia Fruntke
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 26.06.2017
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