Thema des Tages
20-06-2017 14:40
Die Zellteilung in der Meteorologie
In der Vorhersage- und Beratungszentrale erreichen uns besonders
während der Sommerzeit wiederholt Anfragen von Kunden, die entweder
beklagen, dass die Gewitter immer wieder an ihrem jeweiligen Standort
vorbeiziehen oder aber, dass ein Gewitter auf einer vollkommen
atypischen Zugbahn mit all seinen Begleiterscheinungen über ihren
Standort hereingebrochen ist.
Diese Fragen haben sicherlich schon häufig für Diskussionen gesorgt,
denn wer kennt sie nicht, die bevorzugten Gewitterzugbahnen aus
seiner Heimat. Mal ziehen die Gewitter immer wieder weit entfernt am
Horizont entlang und werden zum Beispiel durch orografische Einflüsse
wie ein Gebirge am Beobachtungsort vorbeigelenkt. Doch dann gibt es
auch die Tage, wo alles anders läuft. Dann werden bisher geschützte
Regionen auf einmal von einem Unwetter getroffen und nicht selten
zieht solch ein Gewitter aus einer für die Region eher ungewöhnlichen
Richtung auf. Für all diese Beobachtungen gibt es sicherlich
unzählige (lokale) Gründe, die hier gar nicht alle erwähnt werden
können. In der Folge soll aber ein Beispiel gezeigt werden, wieso es
zu ungewöhnlichen Zugbahnen eines Gewitters kommen kann. Dazu wird
ein Ereignis vom 19. Mai 2017 betrachtet, das sich vor den Toren
Münchens abgespielt hat.
Stellen Sie sich vor, sie wohnen in München und schauen um 14 Uhr
kurz vor einem späten Mittagsschlaf zum Beispiel auf das Radar der
Warnwetter-App des Deutschen Wetterdienstes. Sie sehen, wie sich
südöstlich der Stadt ein kräftiges Gewitter entwickelt hat, das aber
im Radarloop gut erkennbar nach Nord bis Nordost und somit an München
vorbeizieht. Dabei bedeutet die rote oder blaue Farbe im Radar, dass
es sich um ein kräftiges Gewitter handelt und in diesen Bereichen mit
heftigem Regen oder gar mit Hagel gerechnet werden muss. Sie sind nun
beruhigt, legen sich hin, nur um eine knappe Stunde später von lautem
Donnerschlag geweckt zu werden. Sie schauen wieder auf das Radar und
erkennen, dass sich abgesehen von dem einen Gewitter keine neue
Gewitterzelle südlich von München entwickelt hat, die auf die Stadt
hätte zuziehen können. Doch was war geschehen?
Gewitter entwickeln sich je nach den entsprechenden Zutaten mit
unterschiedlichen Intensitäten. Eine der Zutaten für Gewitter ist
dabei eine feuchte und warme Luftmasse, die sich mit zunehmender Höhe
rasch abkühlt. Dieser Zustand der Troposphäre wird in der
Meteorologie als "labil" bezeichnet. Das bedeutet, dass ein Luftpaket
sehr schnell sehr hoch aufsteigen kann und sich die Luft dabei rasch
abkühlt. Durch Kondensation entstehen Regen- und Wolkentröpfchen und
letztendlich eine hochreichende Gewitterwolke. Eine weitere Zutat ist
eine hohe Windscherung. Dabei nimmt der Wind mit der Höhe deutlich zu
und ändert auch seine Richtung. Am 19. Mai nahm der Wind von 10 km/h
in rund 1,5 km über Grund auf über 90 km/h in 6 km über Grund zu. Das
ist eine starke Windscherung. Der kräftige Höhenwind verfrachtet den
gebildeten Niederschlag, so dass die regengekühlte Luft abseits vom
Gewitter zu Boden fällt. Das erlaubt dem Gewitter weiter feuchte und
warme Luftmassen einzubeziehen und das Resultat ist ein sehr
langlebiges Gewitter, wie am 19. Mai dieses Jahres.
Wenn die Zutaten stimmen, sich also viel Labilität und hohe
Windscherung überlappen, können sich sogenannte "Superzellen" bilden.
Das sind Gewitter, die stark rotieren und mit den schlimmsten
Begleiterscheinungen wie Großhagel, schweren Sturmböen und/oder
heftigen Starkregen einhergehen. Superzellen sind sehr dynamische
Gebilde, deren Entstehung, aber auch Entwicklung ein hochkomplexer
Prozess sind. Die einen Superzellen tendieren im Verlauf ihres Lebens
immer weiter nach "rechts" auszuscheren, während andere Superzellen
sich in eine links ausscherende und eine rechts ausscherende
Gewitterzelle teilen.
Letzteres ereignete sich am 19. Mai (siehe a)). Das Gewitter
südöstlich von München entwickelte sich in einer Umgebung, die eine
in Zugrichtung links und rechts ausscherende Zelle förderte. Dabei
traf das links ausscherende Gewitter gegen 14:45 Uhr den Osten
Münchens und überquerte die Stadt mit Hagel von örtlich bis zu 3 cm
Durchmesser. Im beigefügten Bild wurden die Gewitterzellen alle 15
Minuten über eine Stunde hinweg übereinandergelegt. In b) ist die
Verlagerung der beiden Gewitter über mehrere Stunden hinweg zu
erkennen. Die links ausscherende Zelle zieht nach Nordwest und über
München hinweg, die andere nach Nordost. Ein Gewitteraufzug aus
Südost ist für München nicht alltäglich, kommen die meisten Gewitter
doch eher aus dem westlichen Sektor.
Es ist nicht selten der Fall, dass Gewitter, die aus einer eher
ungewöhnlichen Richtung aufziehen auch außergewöhnlich kräftige
Begleiterscheinungen hervorrufen, da sie durch Prozesse getrieben
werden (wie hier die Zellteilung), die bei sehr starken und
langlebigen Gewittern beobachtet werden.
Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 20.06.2017
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