Thema des Tages

07-06-2017 14:40

Die zwei Seiten von INGRABAN

Das bereits im vorangegangenen Thema des Tages erwähnte und für die
Jahreszeit relativ untypische Sturmtief INGRABAN verlagerte sein
Zentrum am Dienstag langsam von Großbritannien zur Nordsee und sorgte
dabei für allerhand turbulente Vorgänge in der Atmosphäre.


Die zu diesem Tiefdruckgebiet gehörende Kaltfront erreichte den
Westen Deutschlands am Dienstagmittag und zog nachfolgend in die
östlichen Landesteile weiter. Vor dieser Kaltfront (in der
Fachsprache "präfrontal") befand sich noch eine feuchtwarme
Luftmasse, die für kräftige Gewitter den perfekten Nährboden bot.
Dementsprechend entwickelten sich ab den Mittagsstunden in einem
Streifen von Niedersachsen über Thüringen bis nach Bayern einzelne
starke Gewitter, deren Schwerpunkt sich im Laufe des Nachmittags in
die östlichen Bundesländer verlagerte. Örtlich waren diese mit
Sturmböen, Starkregen und kleinerem Hagel sowie recht hohen
Blitzraten verbunden.


Zudem wurden die Gewitter deutlich stärker, je weiter sich diese der
Grenze zu Polen sowie der Ostsee näherten. Am Abend intensivierten
sich einzelne Gewitterzellen schließlich so stark, dass zwischen der
Uckermark und Rügen örtlich Unwetter mit heftigem Starkregen (z.B. 26
Liter pro Quadratmeter in einer Stunde an der Station
Uckerland-Karlstein) und Hagel mit mehr als 3 cm Korndurchmesser
aufgetreten sind. Im Laufe der ersten Nachthälfte zogen die teils
noch kräftigen Gewitter schließlich nach Nordosten ab und die Nacht
verlief dann deutlich ruhiger.


Allerdings war auch postfrontal (d.h. hinter der Kaltfront) einiges
los. Die einfließende kühlere Meeresluft ließ zwar in der Westhälfte
keine so mächtigen und hochreichenden Gewitterzellen wie in
Ostdeutschland zu, allerdings gab es dort sowohl in Bodennähe als
auch in höheren Atmosphärenschichten eine Zunahme der
Windgeschwindigkeit. Durch den vertikalen Impulstransport (also das
Herabmischen stärkerer Höhenwinde) waren selbst eher harmlos
anmutende Schauer- oder Gewitterzellen teilweise mit Sturmböen oder
schweren Sturmböen verbunden. Die stärksten Böen wurden im Westen an
der Station Deuselbach mit 96 km/h (entspricht einer schweren
Sturmböe, Bft 10) sowie in Trier-Petrisberg (beides Rheinland-Pfalz)
mit 109 km/h (orkanartige Böe, Bft 11) gemessen.


Der Wind wird auch den heutigen Mittwoch weitgehend bestimmen, da
sich der Kern von INGRABAN weiterhin über der Nordsee befindet und
Deutschland an seiner Südflanke im Starkwindfeld liegt. An der
Nordseeküste muss daher generell mit Sturmböen und einzelnen schweren
Sturmböen gerechnet werden, sonst sind die Sturmböen meist an sich im
Tagesverlauf örtlich bildende Schauer und Gewitter gebunden. Ein
erhöhtes Risiko für kräftige Schauer- und Gewitterentwicklungen
besteht vor allem von der Mitte bis zur Donau sowie im Osten des
Bundesgebiets. Mit Tief INGRABAN ist aber auch deutlich kühlere
Meeresluft aus dem Nordpolarmeer nach Deutschland eingeflossen. Ein
warmer Tag (das ist in der Klimatologie ein Tag mit mindestens 20
Grad Lufttemperatur) wird heute am ehesten noch in der Lausitz sowie
stellenweise am Rhein erreicht. Durch den recht kräftigen Wind ist
das Temperaturempfinden zudem deutlich kälter.


Es müssen aber noch keine längerfristigen Herbstgefühle aufkommen: Am
Donnerstag liegt das Temperaturniveau zumindest in der Mitte und im
Süden wieder um rund 5 Grad höher. Allerdings wird der Sonnenschein
nicht gleichmäßig verteilt sein: Im Süden kann reichlich Sonne
getankt werden, im Norden dominieren dagegen viele Wolken und
zeitweise fällt Regen. Am Freitag gibt es mit einer weiteren
Kaltfront wieder Schauer und Gewitter für fast alle, bevor am
Wochenende sommerliche Temperaturwerte zurückkommen. Die
meteorologische Achterbahnfahrt geht also munter weiter.


Mag.rer.nat. Florian Bilgeri
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 07.06.2017

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