Thema des Tages

07-04-2017 14:40

Faszination Wirbelstraße

Bereits 1910 entdeckte der ungarische Ingenieur und Mathematiker
Theodore von Kármán ein faszinierendes Phänomen, das als ?Kármánsche
Wirbelstraße? bekannt werden sollte. Dabei handelt es sich um ein
Naturereignis aus der Strömungsmechanik, das bei ausreichender
Strömungsgeschwindigkeit im Windschatten eines Hindernisses
anzutreffen ist. Dort kommt es an dem umströmten Körper zu einer
alternierenden Wirbelablösung. Diese Wirbel werden dann mit der
Strömung stromabwärts transportiert. Somit entsteht ein regelmäßiges
Muster aus zwei versetzten Reihen von Wirbeln mit entgegengesetztem
Drehsinn. Dass dieses Muster als ?Straße? bezeichnet wird, liegt
übrigens an der Ähnlichkeit zu den gleichmäßig gegeneinander
versetzten Fußstapfen von Passanten.

Eine solche Wirbelstraße kann in der Natur bei vorhandener
Wolkendecke unter anderem hinter einem Flugzeug oder auch bei der
Umströmung aus dem Meer ragender Inselgruppen beobachtet werden.
Beispiele findet man häufig im Windschatten der Kanarischen Inseln
(siehe Bild 1 vom 29.07.2016, Quelle: https://go.nasa.gov/2p82HQZ),
der Insel Tristan da Cunha im Südatlantik (siehe Bild 2 vom
14.07.2010) oder Guadalupe vor der Westküste Mexikos, der Jan Mayen
Insel im Nordmeer oder der Juan-Fernández-Inseln im südöstlichen
Pazifik.

Allerdings ist das Auftreten von Wirbelstraßen nicht nur auf Wolken
beschränkt. Sie lassen sich grundsätzlich in allen gasförmigen und
flüssigen Stoffen nachweisen und treten recht häufig auf, auch wenn
sie dabei nicht immer für das menschliche Auge sichtbar sind.

Bekannt wurde die Kármánsche Wirbelstraße wohl auch durch den
tragischen Einsturz der zu ihrer Zeit erst kürzlich fertiggestellten
Tacoma-Narrows-Brücke, einer nahezu zwei Kilometer langen Hängebrücke
im Bundesstaat Washington (USA) im Jahre 1940. Diese fing bereits bei
geringen Windgeschwindigkeiten an zu schaukeln, was ihr auch den
Spitznamen ?Galloping Gertie? (dt. "galoppierende Gertie")
verschaffte. Am Vormittag des 7. Novembers 1940, nach nur vier
Monaten Betriebszeit, lösten allerdings stürmische Böen plötzlich
heftige Schwingungen und spiralförmige Drehbewegungen der Brücke aus,
die sich immer weiter verstärkten, bis die Brücke nach etwa einer
halben Stunde den Belastungen nicht mehr standhielt und 60 Meter in
die Tiefe stürzte.

Als Ursache fand man später, dass sich an den Rändern der
Brückenverkleidung Luftwirbel periodisch ablösten und sich eine
Kármánsche Wirbelstraße ausbildete, die die Brücke zum Schwingen
anregte. Unglücklicherweise glich die Ablösefrequenz der Wirbel der
Eigenfrequenz der Brücke, wodurch ein sogenannter ?Resonanzfall?
eintrat. D. h. durch die äußere Anregung in einer ganz bestimmten
Frequenz, der Eigenfrequenz der Brücke, verstärkten sich die
periodisch auf die Brücke einwirkenden dynamischen Kräfte und somit
auch die Schwingungen immer weiter. Dabei wurde die Fahrbahn
teilweise um bis zu neun Meter aus ihrer normalen Lage gehoben und
zeitweise um 45 Grad nach links und rechts verdreht, sodass man
meinen könnte, die Brücke sei aus Gummi. Als sie schließlich den auf
sie einwirkenden Kräften nicht mehr Stand halten konnte, stürzte sie
schließlich ein. Auf der Wikipedia-Seite der ?Tacoma-Narrows-Brücke?
findet man übrigens ein Video, das den Einsturz der Brücke
eindrucksvoll zeigt. Seit dieser Zeit wird beim Bau von Brücken und
anderen Bauwerken ein besonderes Augenmerk auf die Belastungen durch
Windströmungen gelegt.

MSc.-Met. Sebastian Schappert
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 07.04.2017

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