Thema des Tages
20-03-2024 15:20
Wetter aktuell
Klimaerwärmung und die Auswirkungen auf die Vegetation
Die im Mittel immer früher einsetzende Erwärmung und die länger
andauernden Wärmephasen haben auch Auswirkungen auf die Vegetation.
Das heutige Thema des Tages schaut auf ein paar Aspekte der
Veränderung.
Die Natur kommt immer früher in Gang
In den vergangenen Jahren kam die Vegetation im Mittel immer früher
in Gang. Es gibt zwei Möglichkeiten diese Entwicklung recht
eindrücklich zu zeigen. Da wäre zum einen der Blühbeginn der
Forsythie, der auch den Start der phänologischen Jahreszeit
?Erstfrühling? markiert.
Im Deutschlandmittel lässt sich ein deutlicher Sprung zwischen den
beiden Referenzperioden 1961-1990 und 1991-2020 erkennen. Im Mittel
über Deutschland hat sich der Blühbeginn der Forsythie um elf Tage
nach vorne verschoben. An Stationen im Westen und Südwesten
Deutschlands sind die Veränderungen noch stärker, so beginnt
beispielsweise die Blüte der Forsythie in Geisenheim bereits 18 Tage
früher (1961-1990: 25.März, 1991-2020: 07.März). Schaut man speziell
auf die letzten 10 Jahre (Zeitraum 2011 bis 2020), erkennt man, dass
auch dieses neue Referenzmittel bereits verlassen wurde (Mittel
2011-2020: 1.März). In Geisenheim markierte das Jahr 2024 den bisher
frühesten Forsythienblühbeginn seit Aufzeichnungsbeginn. Mit dem 19.
Februar 2024 war man über einen Monat früher dran, als im Mittel von
1961-1990 (25.März).
Nicht nur die Temperatur hat Einfluss auf den Blühbeginn
Die Forsythie ist nicht die einzige Pflanze, die immer früher
startet. Vergleichbare Veränderungen findet man bei einer Vielzahl
von Pflanzen, so auch beim Blühbeginn der Süßkirsche oder bei der
Blattentfaltung der Stachelbeere. Allerdings lässt sich die
Größenordnung der Verfrühung nicht auf alle Pflanzen(arten)
übertragen. Neben der Lufttemperatur beeinflussen auch andere
meteorologische Faktoren die Pflanzenentwicklung. Dazu gehören neben
der Summe der Sonnenscheindauer auch die Bodentemperaturen in
unterschiedlichen Tiefen und die nächtlichen Tiefstwerte in
Bodennähe. Forsythie und Stachelbeere sind beispielsweise
Flachwurzler und reagieren entsprechend früh auf die Erwärmung der
oberen Bodenschichten. Bei Birnen und anderen Tiefwurzlern, reicht
eine Erwärmung der oberen Bodenschichten alleine nicht aus.
Anstieg der Mitteltemperatur und Wachstumsstart im Grünland
Die früher einsetzende Vegetationsphase im Frühjahr ist eine direkte
Folge des Anstiegs der Mitteltemperatur in den ersten Monaten des
Jahres. Um den aktuellen Stand der Frühjahrsentwicklung zu beurteilen
nutzen Landwirte die sogenannte Grünlandtemperatursumme. Sie gibt
einen Hinweis auf den Termin, zu dem das Wachstum im Grünland beginnt
? ein Termin, der sozusagen den Startschuss für die
landwirtschaftlichen Arbeiten gibt. Für diese Maßzahl werden mit
Jahresbeginn fortlaufend die positiven Tagesmitteltemperaturen
aufsummiert. Im Januar werden aufgrund des niedrigeren Sonnenstandes
die Mitteltemperaturen noch mit 0.5 und im Februar mit 0.75
multipliziert. Ab März zählen die Tagesmittelwerte voll.
Der Schwellenwert, ab dem man von einem nachhaltigen Wachstumsstart
des Grünlands spricht ist die Summe von 200 °C. Schaut man sich die
Statistik dazu im Stationsmittel von Deutschland an, erkennt man eine
deutliche Verfrühung des Erreichens der 200 °C Marke. In diesem
Frühjahr 2024 wurde dieser Schwellenwert sehr früh erreicht und die
Natur hat sich folglich besonders früh entwickelt, wie man am
Beispiel Frankfurt/Main in der Grafik erkennen kann.
Bis spät in den Herbst Wärme - Verlängerung der Vegetationsperiode
Auf der anderen Seite dauern im Jahresverlauf die sommerlich warmen
Wetterlagen immer länger an. Das Jahr 2023 war dahingehend ein
Extrembeispiel mit einem September, der als vierter Sommermonat in
die Geschichte eingegangen ist. An einigen Wetterstationen entlang
der Nordseeküste und im höheren Bergland markierte der September 2023
den wärmsten Monat des Jahres, wärmer als Juni, Juli oder August.
Auch bei der Anzahl der Sommer- und Hitzetage (Maxima ?25 Grad bzw.
?30 Grad), wurden neue Rekordwerte erzielt. Details dazu sind im
Tagesthema vom 05.10.2023 nachzulesen. Die spätsommerliche Wärme zog
sich bis in die erste Oktoberdekade hinein.
Mit dem im Mittel späteren Absinken der Tagesmitteltemperauren unter
5°C, verlängert sich automatisch die Vegetationsperiode. Blickt man
auf die phänologische Uhr, ist zu erkennen, dass insbesondere der
?Vollherbst? in der Periode 1991-2020 deutlich länger andauert, als
in der Periode 1961-1990. Dass die phänologische Jahreszeit
?Vollherbst? so viel länger geworden ist, liegt an der Kombination
aus zwei Faktoren und der Definition des Beginns der Jahreszeit. Der
Vollherbst beginnt mit der Fruchtreife der Stieleiche. Durch die
wärmeren Temperaturen wird die Fruchtreife beschleunigt und der
Vollherbst beginnt, wie alle phänologischen Jahreszeiten davor,
früher als nach der alten Referenz. Der Übergang zur phänologischen
Jahreszeit ?Spätherbst? erfolgt mit der Blattverfärbung der
Stieleiche. Durch die wärmeren Temperaturen setzt diese im Mittel
deutlich später ein. In der Konsequenz ist der ?Vollherbst? der große
Gewinner des Klimawandels.
In Folge der zuvor erläuterten Veränderungen, hat sich die Jahreszeit
Winter in der Pflanzenwelt deutlich verkürzt (um rund 20 Tage
zwischen 1961-1990 und 1991-2020).
Verlängerung des Grünlandwachstums und Verkürzung der Vegetationsruhe
Daraus folgt auch, dass das Grünlandwachstum immer länger andauert.
Um diesen Parameter zu bestimmen, muss man wissen, dass ab einer
bestimmten Temperatur das Wachstum der Pflanzenwelt zum Erliegen
kommt. Die meisten Pflanzen stellen bei Temperaturen unterhalb von 7
bis 4 °C das Wachstum ein und wechseln in die Winterruhe. Etwas
vereinfacht kann man den Beginn der Winterruhe damit definieren, dass
die Tagesmitteltemperatur an fünf aufeinanderfolgenden Tagen unter
5°C liegen soll.
Die Dauer des Grünlandwachstum berechnet sich aus der Zeitspanne
zwischen dem Erreichen der Grünlandtemperatursumme von 200 °C und dem
Beginn der Vegetationsruhe. Im Vergleich der beiden
Klimareferenzperioden erkennt man, dass sich der Zeitraum verlängert
hat (fast zwei Wochen länger) und gerade im letzten Jahrzehnt nochmal
einen Sprung nach oben gemacht hat.
Auswirkungen der Verkürzung der Ruhephasen
Wenn sich also die Vegetationsperiode verlängert, bedeutet dies im
Umkehrschluss, dass die Ruhephasen für die Pflanzenwelt kürzer
werden. Es stellt sich also die Frage, welche Konsequenzen dies für
die Natur hat. Ganz pauschal lässt sich das nicht beantworten. So
gibt es in der Natur und im Garten Pflanzenarten, die auch in den
Wintermonaten in milderen Phasen noch aktiv sind. Da sind neben
Winterraps/-getreide auch verschiedene Wintersalate und
Winterkohlarten zu nennen.
Bei anderen Pflanzenarten, wie den Obstgehölzen, ist dies aber
deutlich komplizierter. Diese besitzen einen Schutzmechanismus, der
verhindert, dass es während warmen Witterungsabschnitten im Winter zu
einem frühzeitigen Austrieb kommt. So gibt es verschiedene Phasen der
Winterruhe, während derer sich antriebshemmende Stoffe in den
Blütenknospen ausbreiten, die einen frühen Austrieb bei günstigen
Temperaturen verhindern. Dieser Stoff wird in der Folge langsam
abgebaut. Details über den Prozess finden sich in verschiedenen
Veröffentlichungen.
Die immer milderen Winter führen also nicht automatisch zu einem
früheren Austrieb, entscheidend für eine Verfrühung ist die
Temperatur im Frühjahr. Zwar erkennt man auch bei Obstgehölzen, wie
dem Apfel, dass sich der mittlere Austrieb verfrüht hat, der
Verfrühung sind aber natürliche Grenzen gesetzt.
Auswirkungen der wärmeren Winter auf das Schädlingsaufkommen
Auch lassen sich keine pauschalen Aussagen über ein vermehrtes
Schädlingsaufkommen machen. Es ist zwar richtig, dass wärmere Winter
vor allem bei Schädlingen, die ursprünglich aus warmen Gebieten
stammen, zu einem Anstieg der Population führen, andersherum bedeuten
kalte Winter aber nicht zwingend, dass viele Schädlinge absterben.
Was ihnen eher zu schaffen macht, sind häufige Wechsel von
Frostperioden und milden Abschnitten.
Man sieht also, dass die Phänologie im gesamten nicht linear auf
Veränderungen durch die Klimaerwärmung reagiert, sondern es auch
andere Einflussfaktoren gibt, die ebenfalls eine Rolle spielen. Es
ist aber nachweisbar, dass sich im Mittel die Vegetationsperiode
verlängert und die Winterruhe kürzer ausfällt. Inwiefern dies
positive oder negative Konsequenzen hat, ist nicht pauschal zu
beantworten und wird auch weiterhin erforscht.
Zustand der Vegetation über Warnwetter App zumelden
Im Übrigen: Sie können uns bei der Erfassung des Zustandes der
Vegetation mit Ihren Meldungen über die Warnwetter App unterstützen.
Die Zumeldungen stellen eine gute Ergänzung des phänologischen
Meldenetzwerks in Deutschland dar.
Dipl. Met. Marcus Beyer mit fachlicher Unterstützung von Bianca
Plückhahn
Dipl.-Met. Marcus Beyer
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 20.03.2024
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