Thema des Tages
15-03-2024 12:50
Wissenschaft kompakt
Extremwetter abseits des Scheinwerferlichts
In den vergangenen Monaten musste die Bevölkerung der Mongolei erneut
einen sehr harten Winter überstehen. Besonders die Bewohner der
weiten Steppenlandschaften und deren Tiere waren dabei enormen
Strapazen ausgesetzt.
Über das Wettergeschehen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft sind
wir Europäer für gewöhnlich medial sehr gut informiert. Egal ob
extreme Niederschläge im Mittelmeerraum, ein Orkan über
Nordwesteuropa oder heftige Schneefälle über Skandinavien ? man
bekommt hierzulande eine Vielzahl an Berichten und Bildern dazu
"serviert" bzw. kann sich diese einfach und rasch besorgen. Selbst
die Wettervorgänge in den Vereinigten Staaten sind häufig Bestandteil
der hiesigen Berichterstattung. Fixstarter dafür ist fast jeder
Hurrikan sowie der eine oder andere stärkere Tornadooutbreak. Nun
liegt Washington, D.C. bekanntlich etwa 6700 km Luftlinie von unserer
Hauptstadt Berlin in westlicher Richtung entfernt ? wissen Sie aber
auch so gut Bescheid über die meteorologischen Vorgänge in einem
ähnlich weit entfernten Gebiet in Richtung Osten? Die Luftlinie zur
Hauptstadt der Mongolei (Ulaanbaatar) ist mit knapp 6200 km sogar
kürzer als nach Washington, aber das dortige meteorologische
Geschehen ist für uns Mitteleuropäer doch eine ganz "andere Welt".
Die Mongolei liegt im Bereich des zentralasiatischen Hochlandes und
bildet zwischen der Russischen Föderation und der Volkrepublik China
einen sehr dünn besiedelten Binnenstaat, wobei 40 % der
Gesamtbevölkerung (etwa drei Millionen) in der Hauptstadt wohnen. Die
geographische Lage bringt mit sich, dass das Klima sehr kontinental
geprägt ist. Prägend sind dabei eine große Schwankungsbreite der
monatlichen Durchschnittstemperaturen (heiße Sommer, sehr kalte
Winter) und der meist geringe Niederschlag (im Jahresverlauf ungleich
verteilt). Die Folge davon sind ausgedehnte Steppengebiete, die im
Süden in die Wüste Gobi übergehen.
Die oft nomadisch lebende Landbevölkerung muss damit sowohl mit den
landschaftlichen, als auch den klimatologischen Randbedingungen ihr
Leben bestreiten. Dazu gesellen sich aber immer häufiger
Extremwetterereignisse, die meist zu viel Not und Leid führen. Ein
solches wiederkehrendes Ereignis ist für die Region so prägend, dass
es einen eigenen Namen bekommen hat: Dsud (andere Schreibweise: Dzud,
engl: zud). Dieser Begriff beschreibt außergewöhnlich harte
Winterbedingungen, die zwischen Oktober und Mai auftreten und zu
fehlenden Weidemöglichkeiten führen können. Die Tiere der Nomaden
werden dabei von Tag zu Tag schwächer und sterben zwangsläufig an
Erschöpfung, Verhungern oder durch Erfrieren. Nicht selten kommt es
dabei zu einem Massensterben.
Allerdings gibt es mehrere Ausprägungen des Dsud. Beim sogenannten
"Weißen Dsud" fällt so viel Schnee, dass die Tiere nicht mehr an das
Steppengras herankommen können. Besonders erschwerend kann dabei der
Windeinfluss sein, der die Schneeoberfläche verdichtet. Betrifft
dieses Ereignis nur eine kleine Region, können die Hirtenfamilien mit
den Tieren noch in ein anderes Gebiet ziehen. Ein großflächiges
Auftreten von großen Schneemengen kann demgegenüber aber zu sehr
schwerwiegenden Folgen führen. Ebenfalls gefürchtet ist der
"Eis-Dsud", bei dem die (Schnee-) Oberfläche von einer Eisschicht
überzogen wird. Dies passiert einerseits durch einen Kaltlufteinbruch
nach einer Schmelzperiode oder durch gefrierenden Regen. Doch auch
der Mangel an Schnee kann zu Problemen führen: Beim schwarzen Dsud
führt die fehlende Isolation des Schnees zu einem Gefrieren der
Wasserläufe. Durch damit nicht mehr gewährleistete Wasserversorgung
können Mensch und Tier rasch in Not geraten. Der kalte Dsud ist
dagegen klassisch durch sehr tiefe Temperaturen charakterisiert.
Extrem niedrige Temperaturen und starker eisiger Wind hindern Tiere
am Grasen. Zudem verbrauchen diese einen Großteil ihrer Energie um
ihre Körperwärme aufrecht zu erhalten.
Besonders nachteilig wirken sich aber auch vorangehende, sehr
trockene Sommer aus. Langanhaltende Dürre führt schon vor dem Winter
zu einer schlechten Nährstoffversorgung der Schafe und Ziegen, damit
gehen diese mit einem nicht ausreichenden Gesundheitszustand in die
kalte Jahreszeit. Außerdem hindert Dürre die Hirten bei der Anlegung
von Futterreserven als Wintervorsorge. Zudem können auch Überweidung
(zu viele Tiere auf engem Raum) und nachfolgende Versteppung der
Landschaft zu Problemen bei der Futterbeschaffung führen.
Während historisch gesehen etwa alle 10 Jahre ein Dsud auftrat,
sanken die Abstände in der letzten Zeit auf wenige Jahre, teils gab
es mehrere solcher Extremwinter hintereinander. Wenn man bedenkt,
dass Mensch und Tier etwa 5 bis 10 Jahre benötigen sich davon zu
erholen, kann diese Entwicklung zu einer substantiellen Bedrohung der
nomadischen Lebensweise führen. Beispielsweise waren nach Angaben des
UN-Kinderhilfswerks (UNICEF) im Winter 2023/24 über 258.000 Menschen
? darunter über 100.000 Kinder ? von den Auswirkungen des Dsud
betroffen, da neben den landwirtschaftlichen Einschränkungen auch die
Straßen durch starken Schneefall blockiert wurden und Kinder keinen
Zugang zu lebenswichtigen Gesundheits-, Ernährungs-, Bildungs- und
Sozialdiensten hatten. Die Anzahl der ums Leben gekommenen Tiere wird
mit etwa 1,5 Millionen geschätzt (staatlichen Notstandskommission).
Zudem explodierten die Futterpreise mit gravierenden finanziellen
Folgen für die Hirten.
Mag.rer.nat. Florian Bilgeri
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 15.03.2024
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