Thema des Tages
23-02-2024 12:50
Wissenschaft kompakt
Jahrestag der Lawinenkatastrophe von Galtür
Vor genau 25 Jahren ereignete sich eine der schwersten
Lawinenkatastrophen der letzten Jahrzehnte im Alpenraum. Als Folge
einer ungünstigen meteorologischen Entwicklung herrschte verbreitet
sehr große Lawinengefahr, die sich in teils besonders
schadensträchtigen Lawinen manifestierte.
Wenn Wetterlagen über einen längeren, unüblichen Zeitraum anhalten,
kommt es fast immer zu problematischen Auswirkungen. Andauernde oder
sich häufig wiederholende Hitzewellen im Sommer können beispielsweise
bei vulnerablen Bevölkerungsgruppen zu gesundheitlichen
Einschränkungen führen, unter langen niederschlagsarmen Phasen leidet
häufig die Landwirtschaft. Doch ganz besonders beim Niederschlag
wirken sich sogenannte "persistente" oder regenerierende Wetterlagen
häufig besonders nachteilig aus. Während sich der Naturraum und die
Bevölkerung einer Region an die dort üblichen Wetterlagen und deren
mittleren Schwankungsbreite im Laufe der Zeit angepasst hat und damit
gut zurechtkommt, führen langanhaltende oder häufig wiederkehrende
Regen- oder Schneefälle zu teils erheblichen Gefährdungen.
Auch in diesem Winter erlebten wir in Deutschlands bereits die
Problematik von einer länger andauernden Großwetterlage. Im November
und Dezember 2023 führten atlantische Tiefausläufer über mehreren
Wochen hinweg beständig sehr feuchte Luftmassen nach Mitteleuropa
(Westwetterlage), die regional zu einem Hochwasser führten. Eine
solche, niederschlagsreiche und sich immer wieder regenerierende
Wetterlage gab es auch im Januar und Februar 1999 - allerdings bei
einem deutlich tieferen Temperaturniveau. Ende Januar stellte sich
damals über Mitteleuropa die erste von drei markanten
Nordwestwetterlagen ein. Ein sogenannter "Höhentrog" (siehe
DWD-Lexikon) etabliert sich über der Mitte und dem Osten des
Kontinents, wobei mit diesem zum einen kalte und zum anderen auch
feuchte Luft von Norden und Nordwesten her an den Alpennordrand
geführt wurde. Die Folge davon waren dort langanhaltende und kräftige
Schneefälle. Wenngleich sich diese Nordwestlage zu Beginn des
Februars auflöste und in eine Hochdruckrandlage überging, stellte
sich ab dem 05. Februar 1999 wieder das Strömungsmuster von Ende
Januar ein. Über den Zeitraum von einer Woche schneite es im
Alpenraum erneut langanhaltend und ergiebig. Die Ähnlichkeit der
beiden Großwetterlagen sticht dabei deutlich ins Auge.
Beiden Wetterlagen ist gemein, dass sich eine sogenannte "Staulage"
einstellte. Dies hat natürlich überhaupt nichts mit dem Verkehr zu
tun, sondern ist eine Folge der Topographie. Berge haben nämlich
allgemein die Eigenschaft, an ihren Flanken die darauf zuströmende
Luft zum Aufsteigen zu zwingen. Damit wird der in der Luft vorhandene
Wasserdampf in höhere Luftschichten transportiert. Dort ist die Luft
aber normalerweise kälter und kann deutlich weniger Wasserdampf
halten. Als Folge kommt es zum Ausfall und damit zu kräftigem
Schneefall. Hält dieser Effekt über eine längere Zeit an, können
erhebliche Niederschlagsmengen zusammenkommen. Bei beiden Wetterlagen
wurden die Alpen von Norden und Nordwesten her angeströmt, sodass
sich nördlich des Alpenhauptkammes dieser Staueffekt ergab. Außerdem
muss man bei der Beurteilung der Lawinenbildung mindestens noch ein
weiterer meteorologischer Parameter betrachtet werden: den Wind.
Beide Wetterkarten in Abbildung 1 zeigen die Strömungsverhältnisse
(hier Isohypsen) in 700 hPa (etwa 3000 m), aus denen kräftiger
Windeinfluss (aus Nordwest bis Nord) abgeleitet werden kann. Dieser
Wind führte zu erheblichen Verfrachtungen des lockeren Schnees von
den Luv- in die Leelagen und veränderte zudem die
Schneedeckenstruktur.
Nach einer vorübergehenden Umstellung der Wetterlage zum Ende der
ersten Monatshälfte, stellte sich rasch wieder das altbekannte
Strömungsmuster ein. Ein umfangreicher Höhentrog stieß von Nordwesten
her zu den Alpen vor und ließ den kräftigen Schneefall inklusive
Windeinfluss wieder aufleben. Der Schnee türmte sich weiter auf und
erreichte entlang und nördlich des Alpenhauptkammes vielerorts
Rekordwerte. Wenn sie dieses Thema des Tages zeitnah zum
Ausgabezeitunkt in den Händen halten, kam es fast stundengenau vor 25
Jahren (23. Februar 1999, um 15:58 Uhr MEZ) zum Kollaps der mächtigen
Schneedecke oberhalb von Galtür im hinteren Tiroler Paznauntal. Am
nördlich des Ortes gelegenen Hang zwischen Grießkopf und Grieskogel
löste sich auf etwa 2700 m Meereshöhe eine große Staublawine,
rauschte mit mehr als 200 km/h zu Tal und verschüttete Teile des
Ortes. Die in Bewegung gerate Schneemasse wird bei nachfolgenden
Analysen mit etwa 180.000 t abgeschätzt. 31 Menschen konnten nicht
mehr rechtzeitig aus dem dicht gepressten und teils in die Häuser
eingedrungenen Schnee geborgen werden. Einen Tag später kamen bei
einer weiteren Lawine in der benachbarten Ortschaft Valzur weitere
sieben Menschen ums Leben.
Doch diese beiden Großlawinen waren nicht die einzigen
Lawinenereignisse mit Personenschaden während dieser Zeit im
Alpenraum. Sowohl in Frankreich, als auch in der Schweiz gab es bei
entsprechenden Ereignissen mehrere Todesopfer zu beklagen. Die
schlimmsten fanden in Chamonix (Frankreich) sowie in Evolene
(Schweiz) statt. Aufgrund dieser weitreichenden Folgen ging der
Winter 1999 auch als sogenannter "Lawinenwinter" in die Historie ein.
(Die Bilder und Links zum heutigen Thema des Tages finden Sie wie
immer im Internet unter www.dwd.de/tagesthema.)
Mag.rer.nat. Florian Bilgeri
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 23.02.2024
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