Thema des Tages
19-01-2024 13:20
Wissenschaft kompakt
Schnee, Eisregen, Blitzeis - Entstehung und Begriffserklärungen
Am vergangenen Mittwoch und Donnerstag sorgten Schnee und Eisregen
gebietsweise für Chaos. Heute erklären wir, wie diese
unterschiedlichen Niederschlagsphasen und die dadurch verursachte
Glätte entstehen.
Am Mittwoch, teils auch am gestrigen Donnerstag, brachten
außergewöhnliche Wetterereignisse den normalen Alltag vieler
Bundesbürger ganz schön durcheinander. "Eis-Hexe GERTRUD"
(Schlagzeile einer bekannten deutschen Tageszeitung) bescherte dem
Süden und der Mitte Deutschlands gebietsweise erhebliche Glätte durch
gefrierenden Regen, Eisregen und Schnee. Gemeint war Tief GERTRUD mit
seiner ausgeprägten Luftmassengrenze quer über Deutschland. Diese
Luftmassengrenze trennte kalte Polarluft im Norden von subtropischer
Warmluft im Süden. Treffen solche unterschiedlichen Luftmassen
aufeinander, ist dies meist mit kräftigen Niederschlägen verbunden,
die auf der kalten Seite als Schnee und auf der warmen Seite als
Regen fallen (Abbildung 1). Im Übergangsbereich kommt es oft zu einer
Zone mit "unterkühltem Regen" (umgangssprachlich als "Eisregen"
bezeichnet), der spiegelglatte Straßen und dicke Eispanzer an
Gegenständen und der Vegetation verursachen kann. Wie diese
unterschiedlichen Niederschlagsarten entstehen und warum nicht nur
Schnee, sondern auch Regen erhebliche Glätte nach sich ziehen kann,
klären wir im heutigen Thema des Tages.
Niederschlag entsteht, wenn in einer Wolke Wassertropfen und
Eiskristalle zum Beispiel an Frontensystemen oder an Gebirgszügen zum
Aufsteigen gezwungen werden. Dabei kühlen sich die Teilchen ab,
stoßen mit anderen zusammen, verschmelzen miteinander zu größeren
Teilchen oder ändern ihre Phase von Wasser zu Eis. Diese komplexen
Vorgänge der Niederschlagsbildung werden im sogenannten
"Bergeron-Findeisen-Prozess" beschrieben, der heute aber nicht Thema
sein soll. Um abzuleiten, welche Niederschlagsart am Boden ankommt,
verfolgen wir den Weg der bereits gebildeten Niederschlagsteilchen
vom oberen Bereich der Wolke bis zum Erdboden. Dieses Vorgehen wird
als "Top-Down-Methode" bezeichnet und kann anhand von gemessenen
(Radiosondenaufstiege) oder vorhergesagten Vertikalprofilen von
Temperatur und Taupunkt vollzogen werden.
Zunächst muss der Oberrand der Wolke bestimmt werden. Innerhalb der
Wolke ist die Luft gesättigt, die Kurven von Temperatur und Taupunkt
liegen also übereinander. Im Vertikalprofil von Abbildung 2 ist dies
zwischen 950 hPa (ca. 500 m über Meeresniveau) und 530 hPa (ca. 5,3
km ü. NN) der Fall. Darüber gehen die Kurven auseinander, die Luft
ist also nicht mehr gesättigt und es sind somit keine Wolken
vorhanden. Ist die Wolkenoberkante bestimmt, kommt es auf die
Temperatur in dieser Höhe an. Anders als es der Laie vermuten würde,
findet man in der Wolke auch bei Temperaturen deutlich unter dem
Gefrierpunkt weiterhin flüssige Wassertropfen vor. Diese haben trotz
ihrer flüssigen Phase eine Wassertemperatur unter 0 °C und man
spricht von "unterkühlten Wassertropfen". Studien haben gezeigt, dass
bei Temperaturen über -10 °C am Oberrand der Wolke diese mit hoher
Wahrscheinlichkeit nur aus unterkühlten Wassertropfen bestehen. Erst
bei etwa -10 °C befinden sich in 60 % der Wolken Eiskristalle, bei
-15 °C ist dies in 90 % der Wolken der Fall.
Im Beispiel von Abbildung 2 liegt die Temperatur am Oberrand der
Wolke bei etwa -15 °C (zum Ablesen der Temperatur verfolgen Sie
hierzu die diagonal von oben rechts nach unten links verlaufenden
durchgezogenen Linien). Somit ist auszugehen, dass in dieser Wolke
Schneekristalle gebildet wurden. Nun verfolgen wir den Weg dieser
Schneeflocken bis zum Boden. Sie gelangen dabei zwar in wärmere
Luftschichten, die Temperaturkurve bleibt aber bis zum Boden unter
dem Gefrierpunkt (blaue Linie). Die Schneeflocken können also auf
ihren Weg nach unten nirgendwo schmelzen, sodass es am Erdboden zu
Schneefall kommt.
Anders sieht es im Profil von Abbildung 3 aus. Auch hier werden in
der Wolke wahrscheinlich Schneekristalle gebildet, da die Temperatur
am Oberrand der Wolke (ca. 570 hPa; 4,6 km ü. NN) bei etwa -12 °C
liegt. In diesem Beispiel gelangen die Schneeflocken beim freien Fall
in Luftschichten mit Temperaturen über dem Gefrierpunkt (rote Fläche
zwischen 840 und 930 hPa bzw. 1600 und 700 m ü. NN). Diese "warmen
Nasen" entstehen, wenn wärmere Luftmassen auf bodennahe
Kaltluftschichten aufgleiten, wie es häufig bei Warmfronten oder
Luftmassengrenzen der Fall ist. Als Faustregel kann man annehmen,
dass Temperaturen von +3 °C für das komplette Schmelzen der
Schneeflocken benötigt werden. Bei +1 bis +3 °C schmelzen die
Schneekristalle teilweise (d.h. Schneeregen am Boden) und bei weniger
als +1 Grad fällt am Boden meist (nasser) Schnee. In unserem Fall
schmelzen die Schneeflocken komplett zu Regentropfen. Diese gelangen
in den untersten 500 Metern wieder in kalte Luftschichten unter 0 °C
(blaue Fläche). Somit werden die Tropfen wieder abgekühlt und
erreichen als "unterkühlter Regen" bzw. "Eisregen" den Boden.
Durch den mechanischen Impuls beim Auftreffen auf den Boden oder
anderen Gegenständen kristallisieren diese Wassertropfen schlagartig
zu Eis. Bei hohen Regenmengen können sich dicke Eispanzer bilden, die
zu Eisbruch an Bäumen und berstenden Stromleitungen führen können.
Auf Straßen und Wegen kommt es zu erheblicher Eisglätte, die im
Volksmund wegen ihres schlagartigen Auftretens oft als "Blitzeis"
bezeichnet wird und wogegen präventiv ausgebrachtes Streusalz auch
nur begrenzt hilft. Dieses schlagartige Gefrieren können Sie übrigens
selbst in einem Versuch beobachten, indem Sie Wasser in einer
Plastikflasche für wenige Stunden ins Gefrierfach legen, die Flasche
anschließend ganz vorsichtig herausnehmen und kurz auf den Tisch
stoßen. Durch den Aufprall kristallisiert binnen weniger Sekunden das
gesamte unterkühlte Wasser zu Eis.
Im dritten Beispiel handelt es sich um sogenannten "gefrierenden oder
unterkühlten Sprühregen" (Abbildung 4). Am vorletzten Donnerstag (11.
Januar) und in der darauffolgenden Nacht kam es in einem Streifen von
NRW über Süd-Niedersachsen und Sachsen-Anhalt bis nach Berlin und
Brandenburg zu spiegelglatten Straßen und zahlreihen
Verkehrsunfällen. An diesem Tag wurde eine Hochnebeldecke durch einen
herannahenden Trog geringfügig gehoben (siehe Thema des Tages vom 14.
Januar). Die Stratus-Wolkenschicht reichte nur bis zu einer
ausgeprägten Absinkinversion, in unserem Vertikalprofil in 920 hPa
(ca. 800 m ü. NN). Da dort eine Temperatur von nur -3 °C vorherrscht,
besteht diese Wolke aus unterkühlten Wassertropfen. Die Temperatur
bleibt bis zum Boden unter dem Gefrierpunkt. Folglich kommt es am
Boden zu "gefrierenden Sprühregen", der wie Eisregen zu Glatteis
führt. Anders als beim klassischen "unterkühlten Regen" spielen hier
schmelzende Schneekristalle in einer warmen Luftschicht keine Rolle.
Glätte kann zuletzt auch dann entstehen, wenn "normaler" Regen (d.h.
keine unterkühlten Tropfen) auf kalte Oberflächen trifft. Wurden
Böden und Straßenbeläge während einer Kälteperiode durchgefroren,
gefriert das Regenwasser ebenfalls zu Eis. Man spricht in diesem Fall
von Glatteis durch "gefrierenden Regen". Da dieser Prozess nicht so
schlagartig wie bei unterkühltem Regen vonstattengeht, kann
präventives Behandeln von Straßen mit Streusalz starker Glättebildung
entgegenwirken.
(Die Bilder und Links zum heutigen Thema des Tages finden Sie wie
immer im Internet unter www.dwd.de/tagesthema.)
Dr. rer. nat. Markus Übel
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 19.01.2024
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