Thema des Tages
29-12-2023 15:20
Wissenschaft kompakt
Neues aus der Stratosphäre
In der nordhemisphärischen Stratosphäre wird für die nächsten Tage
eine starke Erwärmung prognostiziert. Heute möchten wir uns mit den
Ursachen dieser Erwärmung und den potenziellen Auswirkungen auf unser
Wetter befassen.
Das heutige Thema des Tages behandelt Phänomene in der Stratosphäre,
der zweituntersten Schicht der Erdatmosphäre (zwischen etwa 13 und 50
km Höhe). In dieser Schicht nimmt die Temperatur durch die Absorption
von UV-Strahlung an Ozon mit der Höhe zu. Im Gegensatz zur
darunterliegenden Troposphäre, in der die Temperatur mit der Höhe
abnimmt. Aufgrund dieser inversen Temperaturschichtung ist die
Stratosphäre weitgehend von der Troposphäre entkoppelt und weist
eigene Prozesse auf. Darunter fällt auch das sogenannte "Berliner
Phänomen".
Um dieses Phänomen zu verstehen, betrachten wir die winterliche
Stratosphäre auf der Nordhalbkugel. Über dem Pol, wo im Winter kein
Sonnenlicht einfällt, kann sich die Stratosphäre nicht durch
UV-Absorption am Ozon erwärmen. Daher kühlt die Stratosphäre dort auf
Temperaturen unter -80 °C ab. Dies führt zur Bildung eines kräftigen
Höhentiefs, des sogenannten Polarwirbels, der bis in die Troposphäre
reicht.
In den 50er Jahren entdeckte der Stratosphärenwissenschaftler Richard
Scherhag bei der Auswertung von Wetterballondaten, dass sich die
winterliche Stratosphäre in unregelmäßigen Abständen, im Durchschnitt
alle 2 Jahre, plötzlich stark erwärmt. Aufgrund seiner Forschung an
der Freien Universität Berlin wird dieses Phänomen als "Berliner
Phänomen" bezeichnet.
Die Ursache für diese plötzliche Erwärmung ist recht komplex und
lässt sich in der Troposphäre finden. Etwas vereinfacht dargestellt,
breiten sich bei bestimmten Wetterlagen auf der Nordhalbkugel Wellen
vertikal bis in die Stratosphäre aus. Dort beginnen sie sich in etwa
30 km Höhe aufzulösen und setzen dabei ihre Wellenenergie frei. Diese
wird in Wärmeenergie umgewandelt, sodass es zu einer raschen
Erwärmung kommt. Diese Erwärmung beginnt zunächst in etwa 30 km Höhe.
Ist diese kräftig genug, "wandert" sie bis in eine Höhe von 15 km
hinunter. Bei sehr kräftigen Erwärmungen wird der bereits
beschriebene Polarwirbel zerstört und zerfällt in mehrere Teilwirbel
oder wird weit nach Süden abgedrängt. Die winterlichen Westwinde in
der Troposphäre schwächen sich infolgedessen ab und kehren sich sogar
zu Ostwinden um. Man spricht dann auch von einem "Major Warming".
Dies hat dann sogar Auswirkungen auf unser Wetter. In der Troposphäre
schwächt sich der Jetstream (Starkwindband in der oberen Troposphäre
und unteren Stratosphäre) ab. Dadurch stoßen Hochdruckgebiete weit
nach Norden vor und führen an ihrer Westflanke warme Luft in Richtung
Pol. Die normalerweise vorherrschende West-Ost-Zugbahn der
Tiefdruckgebiete wird in Folge dessen unterbrochen, sodass sie mit
Kaltluft aus polaren Breiten weit nach Süden ausscheren können. Diese
Blockade-Wetterlagen sorgen im Winter häufig für längere kältere
Phasen in Mitteleuropa. Einfacher ausgedrückt: Der Druckunterschied
zwischen Islandtief und Azorenhoch wird im Mittel verringert, sodass
sich der Zustrom milder Atlantikluft nach Mitteleuropa häufig
abschwächt. Major Warmings erhöhen also die Chance auf kalte
Witterungsphasen in den mitteleuropäischen Wintern.
Derzeit simulieren Modelle erneut eine plötzliche
Stratosphärenerwärmung. Nach dem aktuellen Stand reicht diese
Erwärmung jedoch nicht aus, um den Polarwirbel zu zerstören, sondern
er wird sich nur abschwächen und südwärts Richtung Nordeuropa
verschieben. Die Auswirkungen auf unser Wetter Anfang Januar sind
schwer abzuschätzen. In der erweiterten Mittelfrist zeigen Modelle
jedoch eine deutliche Abschwächung der vorherrschenden Westwinddrift,
die seit Mitte Dezember durch einen sehr kompakten Polarwirbel
aufrechterhalten wird. Stattdessen deutet sich ein Trend zu hohem
Luftdruck über Grönland und dem Nordmeer an, was den Weg für kältere
Luftmassen nach Nord- und Mitteleuropa ebnen könnte.
Obwohl die Prognose noch vage ist, zeigen die Modellensembles
tatsächlich einen groben Trend zu einer Abkühlung in der zweiten
Januarwoche, die zumindest im Bergland den Winter zurückbringen
könnte. Diese Entwicklung könnte sogar eine direkte Folge der
Prozesse in der Stratosphäre sein.
Ein optischer Effekt wird sich ab dem Wochenende wahrscheinlich
beobachten lassen: Durch die Verschiebung des Polarwirbels nach
Nordeuropa (siehe Abbildung 1) wird die Temperatur über
Norddeutschland in einer Höhe von 23 km auf etwa -80 °C fallen.
Infolgedessen könnten sich sogenannte "Polare Stratosphärenwolken"
oder "Perlmuttwolken" bilden. Diese entstehen in einer Aerosolschicht
in 22 bis 29 km Höhe, auch bekannt als "Jungschicht", die winzige
Schwefelsäuretröpfchen enthält. Die Hauptquelle für diese
Schwefelsäuretröpfchen sind Vulkanausbrüche. Bei Temperaturen unter
-78 °C gefrieren diese Tröpfchen und es lagern sich Wasser- und
Salpetersäuremoleküle an. Dadurch entstehen Kristalle, die aus einer
Mischung aus Schwefelsäure und Salpetersäuretetrahydrat bestehen. Das
einfallende Sonnenlicht wird an diesen Kristallen gebrochen, wodurch
perlmuttartig erscheinende Wolken entstehen. Aufgrund der
Mehrfachstreuung des Sonnenlichts an diesen Wolken könnte es für
mehrere Tage zu sehr intensiven roten bis purpurnen Sonnenauf- und
Untergängen (Purpurlicht) kommen.
(Die Bilder Links zum heutigen Thema des Tages finden Sie wie immer
im Internet unter www.dwd.de/tagesthema.)
Dipl.-Met. Christian Herold
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 29.12.2023
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