Thema des Tages

20-12-2023 15:20


Wissenschaft kompakt
Warum kommt es zu Sturmschäden?

Wind besitzt ein enormes Schadenspotential und zählt daher zu den
gefährlichsten Wettererscheinungen. Aber wodurch werden Sturmschäden
eigentlich verursacht?

Am morgigen Donnerstag und am Freitag stehen uns zwei sehr stürmische
Tage ins Haus. Ursache ist Sturmtief ZOLTAN, das morgen über
Südschweden zur Ostsee und bis Freitag zum Baltikum zieht. Es hat ein
beachtliches Sturmfeld im Schlepptau, welches morgen und in der Nacht
zum Freitag ganz Deutschland erfasst. Wir rechnen daher verbreitet
mit stürmischen Böen und Sturmböen zwischen 70 und 85 km/h. In den
Mittelgebirgen, im Alpenvorland und nördlich des Erzgebirges kommt es
wahrscheinlich sogar zu schweren Sturmböen bis 100 km/h, an den
Küsten und auf den Berggipfeln sind auch orkanartige Böen oder
Orkanböen (über 105 km/h) zu erwarten. Aber auch abseits der
genannten Regionen sind mit Durchzug der Kaltfront, insbesondere bei
eingelagerten kräftigen Schauern und Gewittern, örtlich und
kurzzeitig schwere Sturmböen bis ins Flachland möglich. Auch wenn es
sich um keinen ausgewachsenen Orkan handelt, werden Sturmschäden bei
diesen Windgeschwindigkeiten nicht ausbleiben. Dabei stellt sich die
Frage, weshalb Wind so gefährlich ist?

Wind ist nichts anderes als bewegte Luft. Bei ihrer Beschleunigung
wird Energie erzeugt, die sogenannte kinetische Energie. Trifft die
bewegte Luft nun auf ein starres Hindernis, wirkt auf dieses eine
Kraft, welche die Energie abbaut. Das Entscheidende dabei ist, dass
die kinetische Energie proportional zum Quadrat der Geschwindigkeit
zunimmt. Bei einer Verdopplung der Windgeschwindigkeit wird die
vierfache, bei einer Verdreifachung sogar die 9-fache kinetische
Energie erzeugt usw. Trifft also Luft mit einer Geschwindigkeit von
100 km/h auf einen Gegenstand, so wird auf diesem die vierfache Kraft
ausgeübt als bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h. Dies macht hohe
Windgeschwindigkeiten so zerstörerisch.

Die soeben beschriebene Krafteinwirkung auf einen Körper nennt man
"Windkraft" oder "Winddruck". Dabei ist dieser neben der Windstärke
abhängig von der Ausrichtung des angeströmten Gegenstands. Trifft der
Wind senkrecht auf ein Hindernis (z.B. eine senkrechte Hauswand), ist
der Winddruck größer als bei einem schräg zugewandten Hindernis (z.B.
eine Dachschräge). Hält der Gegenstand dem Winddruck nicht mehr
stand, kommt es zum Sturmschaden. Auch die Form des angeströmten
Körpers hat Einfluss auf den Winddruck. Hält man beispielsweise eine
Schüssel in den Wind, dann wirkt auf ihr ein stärkerer Winddruck,
wenn der Wind in die Schüssel hineinweht als wenn der Wind von außen
um die Schüssel herum weht (Abb. 1). Auf diesem Prinzip basieren
Schalenkreuzanemometer, also die kleinen Windrädchen, die
Windgeschwindigkeiten messen. Der Wind übt einen stärkeren Druck auf
die dem Wind zugewandten Schalen aus als auf die umgedrehten Schalen
auf der gegenüberliegenden Seite, wodurch das Rädchen in Rotation
versetzt wird. Um Sturmschäden zu vermeiden, besitzen beispielsweise
Baukräne eine drehbare Achse, sodass sich der Kran mit dem Wind
drehen kann. So kann die Fläche des Krans, auf die die Windkraft
wirkt, minimiert werden. Vor einem erwarteten Sturm werden die
Strandkörbe so gedreht, dass der Wind nicht in den Korb hineinwehen
und ihn durch den so erhöhten Winddruck umwerfen könnte. Auch
elastische Gegenstände sind weniger anfällig als starre, da sich
erstere mit dem Wind bewegen bzw. neigen können. Großflächige
Waldschäden sind meist eine Folge von starkem Winddruck.


Neben dem Winddruck gibt es noch weitere Effekte, die zu Sturmschäden
führen können. Zu nennen ist hauptsächlich die Sogwirkung an
überströmten Flächen. Verantwortlich hierfür ist der sogenannte
"Bernoulli-Effekt". Dieses physikalische Gesetz besagt, dass der
Luftdruck an überströmten Flächen mit dem Quadrat der
Windgeschwindigkeit abnimmt. So entsteht an der Oberfläche des
überströmten Körpers ein Unterdruck und es kommt zu einer Sogwirkung.
Abgedeckte Dachziegel, Schäden an Wellblechdächern oder wegfliegende
Planen werden meist durch die Sogwirkung des Winds und nicht durch
den Winddruck verursacht. Der Unterdruck ist auch dafür
verantwortlich, dass einem das Atmen im Gegenwind schwerfällt, dass
ein Regenschirm im Wind nach oben umklappt und dass die speziell
geformten Tragflächen von Flugzeugen diesem den nötigen Auftrieb
verleihen.


Diese Sogwirkung ist jedoch nicht zu verwechseln mit dem Sog von
Tornados. Im Inneren des rotierenden Aufwindschlauchs eines Tornados
entsteht ebenfalls ein starker Unterdruck, durch dessen Sog alles,
was nicht niet- und nagelfest ist, in die Höhe gewirbelt wird. Die
Zerstörungskraft des Sogs von Tornados ist entscheidender als dessen
Windgeschwindigkeiten.

Zuletzt ist noch der Einfluss der Böigkeit zu nennen. Weht der Wind
nicht mit konstanter Stärke, können Wind- und Sturmböen Objekte in
Schwingungen versetzen (z.B. schwankende Bäume im Wind). Entspricht
die Frequenz von aufeinanderfolgenden Böen in etwa der Eigenfrequenz
des Gegenstands, kann es zu einem Aufschaukelungsprozess
(Resonanzkatastrophe) kommen. Diese Böeneinwirkung kann Bäume
abknicken oder entwurzeln. In sehr seltenen Fällen kann es sogar zum
Einstürzen von Bauwerken kommen. Das bekannteste Beispiel hierfür ist
die Tacoma-Narrows-Brücke, die 1940 durch ein Zusammenspiel dieses
Resonanzeffekts und der oben beschriebenen Sogeinwirkung einstürzte.


Bleibt zum Abschluss zu hoffen, dass sich die Schäden in den
kommenden Tagen bei uns in Deutschland in Grenzen halten. Um einer
bösen Überraschung kurz vor Weihnachten entgegenzuwirken, sichern Sie
wenn möglich rechtzeitig lose Gegenstände, parken Sie Ihr Auto nicht
unter Bäumen und vermeiden Sie Spaziergänge im Wald oder Parks mit
Bäumen. Aktuelle Informationen zu den Warnungen in Ihrer Region
erhalten Sie unter www.dwd.de/warnungen oder in der
DWD-Warnwetter-App.


Dr. rer. nat. Markus Übel
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 20.12.2023

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