Thema des Tages
13-09-2023 14:20
Wissenschaft kompakt
Der Schmetterlingseffekt
Die Möglichkeiten der Wettervorhersage sind begrenzt. In dieser
kurzen Einführung in die Chaostheorie möchten wir verdeutlichen, wie
das Chaos und der Flügelschlag damit zu tun haben.
Gestern erreichte uns wieder eine Anfrage, ob wir weiße Weihnachten
bekommen. Natürlich sind solche Vorhersagen für einen so langen
Zeitraum nicht möglich. Doch warum ist das so? Um diese Frage zu
beantworten, müssen wir uns mit dem Wetter als chaotischen Prozess
befassen. Tatsächlich war der Begründer der Chaostheorie Edward N.
Lorenz ein Meteorologe Im Jahr 1963 stieß er auf die Chaostheorie,
während er Konvektionsströmungen in flachen Flüssigkeiten und Gasen
erforschte. (Bei einem Experiment stieg ein Gas auf, das von einer
Heizplatte erhitzt wurde, kühlte sich an der Oberfläche ab und sank
an den Seiten wieder nach unten. Dabei bildeten sich Rollen oder
sogenannte Konvektionszellen.) Dabei entdeckte er, dass winzige
Änderungen in den Anfangsbedingungen des Systems zu starken
Abweichungen in den Ergebnissen führen können.
Lorenz beschrieb diese Strömungen mithilfe eines Vorhersagemodells,
das die Temperatur und die Konvektionsrate in einem Gleichungssystem
miteinander verknüpfte.
Zur Lösung dieser Gleichungen benutzte er einen heute vergleichsweise
einfachen Computer. Die Entdeckung des chaotischen Verhaltens dieses
Systems geschah eher zufällig Als er sein Modell ein zweites Mal
berechnete, wollte er Rechenzeit sparen und gab die
Anfangsbedingungen nur mit drei Nachkommastellen anstatt vorher mit
sechs Nachkommastellen an. Obwohl die Anfangsbedingungen nur
geringfügig voneinander abwichen, führte dies zu völlig
unterschiedlichen Ergebnissen. Dies zeigt, dass kleine Variationen in
den Anfangsbedingungen in einigen Systemen zu großen Unterschieden
führen können.
Der folgende Abschnitt geht noch etwas ins Detail und kann für das
Allgemeinverständnis auch übersprungen werden:
Als grafische Lösung der Gleichung erhält man das Gebilde in der
Abbildung, was auch Lorenz-Attraktor genannt wird. Die Achsen X, Y
und Z stehen für die berechneten Variablen der Gleichungen, die Linie
gibt die zeitliche Entwicklung (Verlauf) der jeweiligen Variablen
wieder und wird als Trajektorie bezeichnet. Auffällig ist, dass die
Trajektorie keiner chaotischen Bahn, sondern vielmehr einer gewissen
Ordnung. Sie kreist um zwei verschieden Orbits und schneidet ihre
eigene Bahn dabei niemals. Man nennt dieses Gebilde auch einen
seltsamen Attraktor. Was allerdings chaotisch ist, ist der Wechsel
von einem zum anderen Orbit, der nicht nach einer bestimmten Periode
abläuft. Ob die Trajektorie von einem Orbit zum anderen "kippt",
hängt dabei stark von den Anfangsbedingungen ab.
In der Chaostheorie spricht man dann auch von einer "Bifurkation". In
Bezug auf die Wettervorhersage treten solche Bifurkationen häufiger
bei Grenzwetterlagen. Dann zeigen verschiedene Wettermodellläufe zwei
verschiedene Wetterlagen, (was mit dem Wechsel zwischen den zwei
verschiedenen Orbits verdeutlicht werden kann.) Oft springt dann die
Prognose zwischen diesen beiden Lösungen hin und her.
Zusammenfassend bedeutet die Chaostheorie nicht, dass Systeme
unvorhersehbar oder zufällig sind. Chaotische Systeme sind im Grunde
berechenbar und werden als "deterministisches Chaos" bezeichnet.
Dennoch sind sie äußerst empfindlich gegenüber kleinen Änderungen in
den Anfangsbedingungen, die erhebliche Auswirkungen haben können.
Edward L. Lorenz drückte dies mit der berühmten Metapher aus: "Kann
ein Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in
Texas auslösen?" Dies ist als der "Schmetterlingseffekt" bekannt und
hat unser Verständnis von komplexen Systemen nachhaltig beeinflusst,
einschließlich der Wettervorhersage. Die genaue Bestimmung des
Anfangszustands der Atmosphäre ist nicht möglich, da nicht für jeden
Punkt der Atmosphäre Messungen zur Verfügung stehen und die Messungen
fehleranfällig sind. Darüber hinaus sind die Gleichungen in den
Wettermodellen nur Näherungen, was die Vorhersagen mit zunehmender
Zeitspanne unsicherer macht.
Dipl.-Met. Christian Herold
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 13.09.2023
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