Thema des Tages

20-07-2023 11:50


Wissenschaft kompakt
Kleine Gewitterkunde - Teil 1: Die Einzelzelle


Gewitter treten in ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen auf. Im
heutigen Thema des Tages wird die Einzelzelle, die einfachste
Gewitterform, vorgestellt.


In diesem Sommer gab es in Deutschland schon einige Gewittertage,
auch die eine oder andere Schwergewitterlage stand schon auf dem
Programm. Vielleicht ist Ihnen beim Blick aufs Radarbild schon einmal
aufgefallen, dass Gewitter ganz unterschiedliche Formen annehmen
können. Mal "ploppen" Gewitter relativ wahllos auf, erzeugen ein
typisches Streuselkuchenmuster auf dem Radarbild und sind jeweils nur
über einem relativ kurzen Zeitraum zu sehen. Manchmal kommen aber
auch Gewitter vor, die sich über Stunden halten und hunderte
Kilometer zurücklegen können und bisweilen gibt es auch riesige
Gewitterkomplexe, die großflächige Schäden anrichten können, wie vor
gut zwei Wochen im Süden von Baden-Württemberg und Bayern.

Vor allem die atmosphärischen Verhältnisse entscheiden über den
Gewittertyp. Während eine präzise Gewittervorhersage für einen
bestimmten Ort nahezu unmöglich ist, werden die für Gewitter
benötigten atmosphärischen "Zutaten" von den Wettermodellen
heutzutage gut erfasst. Das ermöglicht es dem Meteorologen, vorab
Areale einzugrenzen, in denen mit Gewittern zu rechnen ist und welche
Wettererscheinungen damit verbunden sein können.

Grundvoraussetzung für Gewitter ist ein großer Temperaturunterschied
zwischen der Luft in Bodennähe und der Luft in höheren
Atmosphärenschichten. Man spricht dann von einer "labilen"
Schichtung. Im Sommer wird dieser üblicherweise durch die starke
Sonneneinstrahlung verursacht, die im Laufe eines Tages den Erdboden
sowie die darüber liegende Luft erwärmt. Im Winter ist es genau
umgekehrt. Nicht die starke Erwärmung am Boden, sondern einfließende
Kaltluft in der Höhe ist der Grund für den starken vertikalen
Temperaturunterschied. Zudem ist eine ausreichende Feuchtigkeit
(insbesondere in unteren Atmosphärenschichten) eine essenzielle Zutat
für die Bildung von Gewittern. Ganz egal, wodurch die vertikalen
Temperaturgegensätze entstanden sind, ist die Atmosphäre danach
bestrebt, diese auszugleichen. Zunächst beginnt die warme Luft,
ausgehend von bodennahen Atmosphärenschichten, in große Höhen
aufzusteigen. Ein sogenannter Aufwindbereich (engl. Updraft) als
Ausgangspunkt einer jeden Gewitterzelle entsteht. Als
Ausgleichsbewegung bildet sich im weiteren Verlauf ein Abwindbereich
(engl. Downdraft), in dem die kühlere Luft aus der oberen Atmosphäre
Richtung Boden strömt. Updraft und Downdraft haben alle Gewitter
gemeinsam.

Die sogenannte "Einzelzelle" ist die einfachste Gewitterform. Sie
besteht nur aus einem einzigen Auf- und Abwindbereich und hat eine
horizontale Ausdehnung von etwa zehn Kilometern. Einzelzellen
entstehen meist am Rande eines Hochdruckgebiets in einem Bereich mit
geringen horizontalen Luftdruck- und Temperaturunterschieden, also
fernab von Fronten innerhalb einer homogenen, warmen Luftmasse. Daher
bezeichnet man sie in der Fachsprache auch als "Luftmassengewitter".
Der Wind ist in allen Höhen relativ schwach, sodass sich Einzelzellen
nur sehr langsam bewegen oder sogar nahezu an Ort und Stelle
verweilen.

Zunächst erwärmt die Sonne den Erdboden, der in der Folge auch die
bodennahe Luft aufheizt. Er fungiert ähnlich einer Herdplatte, die
von unten das Wasser in einem Kochtopf erwärmt. Angenommen, wir
befinden uns über flachem Terrain, dann steigen ab einer gewissen
Temperatur, der sogenannten Auslösetemperatur, Warmluftblasen auf,
vergleichbar mit den Luftbläschen des zu kochen beginnenden Wassers.
Wie im Kochtopf ist es quasi unmöglich vorherzusagen, wo die ersten
Luftblasen aufsteigen. Solange die Atmosphäre labil geschichtet ist,
erfährt die aufsteigende Luft immer weiteren Auftrieb und durch deren
Sogwirkung kann immer weiter Warmluft von unten nachströmen. Beim
Aufstieg kühlt sich die Luft ab. Da kalte Luft weniger Wasser
speichern kann als warme Luft, kondensiert der unsichtbare
Wasserdampf zu Wassertropfen, wodurch anfangs eine noch harmlose
Blumenkohl-förmige Cumuluswolke entsteht. Innerhalb recht kurzer Zeit
wächst diese weiter in die Höhe zu einer klassischen Gewitterwolke
heran (Cumulonimbus). Im Aufbaustadium fällt noch kein Niederschlag
und die Gewitterwolke besteht nur aus dem Updraft (Abbildung 1), in
dem die Warmluft mit einer Geschwindigkeit von durchschnittlich 40
bis 80 km/h in die Höhe schießt. Im Reifestadium ist der Updraft voll
entwickelt und die Wolke erreicht eine Höhe von mehr als acht
Kilometern. Am Oberrand strömt die Luft horizontal aus, wodurch die
Gewitterwolke ihre typische Ambossform (Abbildung 2) erhält. Nach
einer gewissen Zeit kann der Updraft die Niederschlagsteilchen nicht
mehr schwebend halten, sodass sie im Downdraft zu Boden fallen und
dabei die Luft mit nach unten reißen. Erreicht die Kaltluft des
Downdrafts den Boden, fließt sie horizontal und symmetrisch zu allen
Seiten aus. Die Kaltluft schneidet den Aufwindbereich vom Zustrom
weiterer Warmluft am Boden ab, wodurch der Updraft zum Erliegen
kommt. Die Einzelzelle schaufelt sich quasi ihr eigenes Grab, weshalb
sie nur eine Lebensdauer von weniger als einer Stunde besitzt. Im
Auflösestadium existiert dann nur noch der Downdraft.

Einzelzellen sind klassische Wärme- oder Hitzegewitter. Sie sind
unregelmäßig verteilt und treten meist am Nachmittag und Abend auf.
Da sich die Luft entlang von Berghängen schneller aufheizen kann als
über dem Flachland, kann die Luft entlang der Berghänge besonders
leicht und frühzeitig aufzusteigen. Daher bilden sich die ersten
Gewitter häufig über den (Mittel-)Gebirgen. Einzelzellen sind lokal
eng begrenzt von Starkregen begleitet. In kräftigen Zellen kann es
auch zu kleinkörnigem Hagel und kräftigen Böen kommen.

Welche weiteren Gewitterformen es noch gibt, erfahren Sie demnächst
an dieser Stelle.



Dr. rer. nat. Markus Übel
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 20.07.2023

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