Thema des Tages
20-02-2023 13:50
Wissenschaft kompakt
Ein Polarwirbel in der Troposphäre und die eisige Überraschung
Im heutigen Thema des Tages betrachten wir ein Wetterphänomen, das
immer wieder während der Winterzeit für Schlagzeilen sorgt und
regional eisige Luftmassen weit nach Süden führt, die auch nicht
selten für Kälterekorde gut sind.
In Zeiten der fortschreitenden Veränderung des Klimas sind Wärme-
bzw. Hitzerekorde mittlerweile eine traurige Routine geworden. Umso
mehr fallen jedoch Ereignisse auf, die mit sehr kalten und nicht
selten auch rekordverdächtigen Werten einhergehen.
So geschehen Mitte/Ende Januar 2023 in Teilen Asiens, wo eisige Werte
gemessen wurden. Tongulah (Sibirien, Russland) vermeldete -62.7 Grad
(Rekord), Mohe (China) -53 Grad (nationaler Rekord) oder Nokkundi in
Pakistan rund -10 Grad. Im Dezember 2022 erfolgte zum Monatesende
über den USA ein heftiger Kaltluftausbruch mit einigen Rekorden.
Diese Aufzählung ist natürlich unvollständig, kann jedoch Jahr für
Jahr in der Vergangenheit zurückverfolgt werden. Schaut man sich
geschichtliche Ereignisse an, die vom Wetter beeinflusst wurden, dann
kann man als Grund u.a. auch den Einfluss eines Polarwirbels in der
Troposphäre ausmachen. Ein Beispiel stellt der eisige Winter 1941/42
in Teilen Skandinaviens und Russlands dar, der damals z.B. im
kälteresistenten Schweden für einen neuen winterlichen Maßstab sorgte
und auch maßgeblich den Angriffskrieg der Deutschen beeinflusste. Die
entsprechenden beeindruckenden Anomalien als Beispiel vom 24. Januar
1942 sind in Bild 1 zu sehen.
Mittlerweile haben schon viele den Begriff "Polarwirbel" vernommen,
nachdem dieser während eines massiven Kaltluftausbruchs in den USA im
Jahre 2014 von nordamerikanischen Medien aufgegriffen und in der
Folge auch von der internationalen Presse verwendet wurde. Doch
leider, wie so oft, werden wissenschaftliche Begriffe und
Definitionen in der Mühle der Massenmedien verfälscht bzw. ungenau
oder gar falsch weitergegeben, sodass als Folge häufig eine
verwirrende Vermengung der Begrifflichkeiten erfolgt.
Wenn man vom Polarwirbel spricht, dann eigentlich im Kontext des
?Polarwirbels in der Stratosphäre?, der durch den Polarnachtjet
abgegrenzt und durch ein winterliches Strahlungsdefizit angetrieben
wird. Daher ist dieses Phänomen auch auf die winterlichen Monate
beschränkt (mit zeitlichen Unschärfen im Herbst und Frühling, je nach
Intensität des Wirbels). Dieser Wirbel kann als Folge komplexer
Wellendynamik teils geschwächt werden und auch ggf. mit der
Troposphäre interagieren - ein Thema, das momentan wieder aktuell
ist.
Dann gibt es noch den Polarwirbel in der Troposphäre, der das ganze
Jahr über existiert, jedoch keiner einheitlichen Definition
unterworfen ist. Vorhandene Erklärungen beschreiben im Endeffekt
keine einzige und zusammenhängende, globale Zirkulation in den
jeweiligen Hemisphären, wie es in der Stratosphäre der Fall ist.
Daher ist anstatt des Begriffs eines Polarwirbels eher die variable
Wellenzahl z.B. von planetaren Wellen zu verwenden, die mit dem
Jetstream in der Troposphäre verknüpft ist (sei es der Polarfront-
oder der Subtropenjet).
Zuletzt kommen wir zum Begriff eines sogenannten ?tropopause polar
vortex, abgekürzt TPV", der im heutigen Thema des Tages unser
eigentliches Hauptinteresse darstellt, wobei man nun erkennt, dass
dieser Name doppeldeutig verwendet wird.
Nach der Definition handelt es sich hierbei um ein sub-synoptisch
skaliges System, das durch ein starkes Absinken der Tropopause
gekennzeichnet ist und das durch den arktischen Jet begrenzt wird.
Innerhalb eines TPV sinkt die potenziell wärmere, trockenere und
stabil geschichtete Luft aus der Stratosphäre sehr weit nach unten in
die Troposphäre und wird besonders aggressiv beim Überstreichen
(relativ gesehen) warmer Meeresoberflächen "diabatisch"
angegriffen/geschwächt. Dabei treten solche ?Wirbel? nicht selten
wiederholt über bestimmten Regionen auf, wie z.B. über Kanada, die
dann entsprechende Namenszusätze erhalten (hier z.B. der "kanadische
TPV"). Die kontinental geprägte und durch fortwährende Auskühlung
geprägte Luftmasse im Umfeld eines TPV sorgt für teils intensive
Kaltluftausbrüche, die weit in die Außertropen vorstoßen können.
Komplexer wird das Ganze noch dadurch, dass dieser TPV ggf. mit dem
Polarwirbel in der Stratosphäre interagieren kann. Zudem können
gleichzeitig mehrere solcher TPVs zirkumpolar auftreten, die
Lebenszeiten von Tagen bis Monaten aufweisen. Beim Erreichen der
Außertropen werden die TPVs nicht selten von extremen
Folgeerscheinungen wie intensiven Zyklonen begleitet, da sich beim
Vermischen der kalten und z.B. maritim geprägten milderen Luftmassen
extreme Temperaturgegensätze aufbauen, die den Nährboden für kräftige
Tiefdruckentwicklungen darstellen.
Doch die Darlegung der unterschiedlichen Definitionen ist das eine,
die Verwendung eines Beispiels aus der Realität ist das andere. Daher
schauen wir uns in der Folge einen TPV an, der Anfang Februar 2023
den Osten Kanadas und den Nordosten der USA heimgesucht hat.
In Bild 2 links erkennt man die Darstellung des TPV an Hand der
isentropen potenziellen Vorticity, was grob gesagt vom Aussehen her
nichts anderes ist als die Darstellung des Geopotenzialfeldes, nur
mit einer detaillierteren Auflösung. Höhere Werte der IPV (die das
Einbeziehen stabil geschichteter wärmerer Luftmassen aus der
Stratosphäre andeuten) erstrecken sich von Kanada ausgehend bis in
den Nordosten der USA, wobei die Verwendung dieses Parameters auch
für die Definition eines TPV herangezogen wird. Dies wird hier nicht
weiter vertieft, soll jedoch als Hinweis dienen, wieso hier nicht auf
das Geopotenzial zurückgegriffen wurde.
Rechts im Bild 2 wurde die Temperatur in 850 hPa eingetragen, also in
rund 1.3 bis 1.5 km Höhe über Grund. Man sieht, dass den TPV eine
bitterkalte Luftmasse mit Werten von deutlich unter -30 Grad
begleitet hat, die direkt in Richtung Nordatlantik gelenkt wurden.
Handelt es sich (wie bei diesem Ereignis) um einen rasch ziehenden
TPV, dann ist der "Kältespuk" schnell wieder vorbei. Anders jedoch
sieht es aus, wenn sich so ein TPV über längere Zeit vor Ort
einnistet, was u.a. häufig über Kanada der Fall ist. Die Folge sind
dann langanhaltende, eisige Bedingungen.
Solch ein TPV ist nicht selten von einem sehr kräftigen arktischen
Höhenjet begleitet, der dank der extremen Temperaturgegensätze diesen
in der oberen Troposphäre flankiert. In unserem Beispiel erreichte
der Höhenwind östlich des TPV (mit dem Subtropenjet verschmelzend)
Windgeschwindigkeiten von über 350 km/h - wirklich extreme Werte und
auch klimatologisch außergewöhnlich. Entsprechend dynamisch
gestaltete sich das Wetter in Form rasch fallenden Luftdrucks am Rand
des Jets, was in diesem Fall für die Bildung eines 960 hPa Sturmtiefs
in der Nähe von Neufundland sorgte. Wie wir noch sehen werden
verursachten die extreme Kälte und die angesprochenen
Windgeschwindigkeiten imposante Temperaturwerte bei der gefühlten
Temperatur.
Die Dynamik dieses Sturmtiefs ist auch vom Satelliten aus sehr gut zu
erkennen. In Bild 4 werden dabei die variablen Luftmassen und
Höhenbereiche farblich unterschiedlich eingezeichnet. Z.B. erkennt
man schön, wie von Süden über den Nordatlantik warme Luftmassen
nordwärts geführt werden (grünliche Einfärbung), während von Westen
eine besonders in der Höhe sehr trockene Luftmasse den Nordatlantik
erreicht hat (trocken, da es sich hier z.T. um eine Luftmasse aus der
Stratosphäre gehandelt hat). Die zellenartige Wolkenstruktur deutet
zudem das Überstreichen eisiger Luftmassen über dem vom Golfstrom
erwärmten Meer an, während der Gradient von hoher weißer Bewölkung
hin zu brauner Einfärbung die Position des Jets darstellt.
Aber nicht nur in der oberen Troposphäre, sondern auch in 2 m Höhe
sackten die Temperaturwerte auf teils deutlich unter -30 Grad ab, was
für viele Bereiche Kanadas die kälteste Luftmasse seit 2019
darstellte (Bild 5). Zusammen mit dem Wind wurden beeindruckende
Werte der gefühlten Temperatur gemessen, die bei teils unter -40 Grad
lagen. Dies sind Werte, bei denen man innerhalb kürzester Zeit
Erfrierungen bekommen würde, sollte man der Kälte ungeschützt
ausgesetzt sein. Den Vogel schoss jedoch der 1917 m hohe Mount
Washington im US-Bundesstaat New Hampshire ab, wo bei
Windgeschwindigkeiten von teils über 180 km/h und Temperaturwerten
von unter -40 Grad ein Windchill von bis zu -78 Grad gemessen wurde
(roter Kasten im Bild 6). Dies würde nach endgültiger Überprüfung
einen neuen Rekord des Windchills für Nordamerika darstellen.
Wegen des raschen und extremen Temperaturrückgangs traten in vielen
Regionen Kanadas dank des zügig gefrierenden Wassers im Erdreich
sogenannte "cryoseism (dt. Eisbeben)" auf, die sich anfühlen und
anhören wie schwache Erdbeben und letztendlich auch nichts Anderes
sind. Der Boden wird durch das "Schockfrosten" regelrecht
aufgesprengt.
Übrigens fand dieses Ereignis in den Massenmedien eine hohe Resonanz,
was vor allem an der Vermutung lag, dass der Gipfel vom Mount
Washington während der Passage des TPV kurzzeitig in die Stratosphäre
hineinragen könnte. Wie man sich das bildlich vorstellen kann ist in
Bild 7 grafisch dargestellt.
Dabei erkennt man in Bild 7a), dass an der Station Maniwaki der
untere Bereich der Stratosphäre (flankiert von der Tropopause und rot
strichliert) auf rund 800 hPa absank, im rund 550 km südlicher
gelegenen Mount Washington nicht ganz so tief, sodass letztendlich
der Gipfel knapp außerhalb der Stratosphäre verblieb, was auch an
einem fehlenden Ausschlag der Ozonmessungen deutlich wurde, die sonst
in der ozonreicheren stratosphärischen Luftmasse deutlich höhere
Werte hätten anzeigen müssen.
Beim Vergleich von Bild 7a) mit 7b) erkennt man, wie massiv die
Stratosphäre innerhalb eines TPV absinken und nach Durchzug des TPV
wieder ansteigen kann.
Dass solche TPVs auch uns in Mitteleuropa erreichen ist nicht
unmöglich, wenngleich vieles passen muss, wie z.B. die richtige
synoptische Druckkonstellation oder eine gute Schneebedeckung in
Nordeuropa, um uns ungefiltert mit eisiger Polarluft zu "frosten".
Wenn man sich die aktuelle Entwicklung in der Stratosphäre anschaut,
kann man nicht ausschließen, dass wir noch in diesem März in Nord-
oder Osteuropa von einem solchen Ereignis sprechen könnten -
wenngleich das nicht wünschenswert wäre.
Dipl. Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 20.02.2023
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