Thema des Tages

19-10-2016 14:40

Die "Wundersame Spirale"

Wenn man aktuell das ohnehin schon erhebende Gefühl genießt, Europa
mittels eines Satellitenfotos von oben zu betrachten, so sieht man
die beeindruckende Wolkenspirale eines Tiefdruckgebietes, die sich
über der Nordsee und Benelux eingedreht hat. Die Ausläufer des Tiefs
bilden dabei am heutigen Mittwochmorgen (19.10.) deutlich erkennbar
ein spiralförmiges Muster. Dies ist in der zugehörigen Grafik
deutlich zu erkennen, in der eine Satellitenaufnahme im infraroten
Bereich (graue Farben) mit einem zusammengesetzten Radarbild
(grün-gelbe Farben) kombiniert ist.

Die wirbel- bzw. spiralförmige Struktur der Wolken ist speziell der
Corioliskraft geschuldet, die im Thema des Tages schon häufiger
besprochen wurde. Was die Wolkenwirbel bzw. die von ihnen gebildete
Spirale in ihrer Form so besonders macht, ist die Tatsache, dass der
Abstand zum "Mittelpunkt" (in unserem Fall zu dem über dem Nordwesten
der Niederlande liegenden Tiefkern) mit jeder Windung um den gleichen
Faktor ansteigt. Daraus ergibt sich auch, dass die Kurve der Spirale
von allen durch ihren Pol gehenden Geraden unter dem gleichen Winkel
geschnitten wird. Dass diese Spirale noch einige andere mathematische
Besonderheiten aufweist, sei hier nur am Rande erwähnt.

In der Grafik ist unten rechts eine logarithmische Spirale
dargestellt (diese passt allerdings, da sie rechtsdrehend ist,
zugegebenermaßen besser zu den Wolkenstrukturen von Tiefdruckgebieten
auf der Südhalbkugel, was hier aber nicht entscheidend ist).

Dass sich letztendlich in der Atmosphäre doch nicht das Bild einer
idealen logarithmischen Spirale ergibt, hat viele Gründe. Die Kräfte,
die in einem Tiefdruckgebiet wirken, ändern sich ständig und die
Corioliskraft ist ohnehin von der geografischen Breite abhängig.
Darüber hinaus wird die Verlagerung der Fronten durch die Orografie,
also die Form der Erdoberfläche, beeinflusst und die zugehörigen
Wolkenbänder werden deformiert. Als weiterer Faktor kommt hinzu, dass
sich das Tief und damit die gesamte Spirale verlagern, so dass in der
Folge natürlich auch die Gesamtstruktur der Spirale verändert wird.
Das sind nur einige Punkte, die das Auftreten einer idealen
logarithmischen Spirale bei Wolkenbändern verhindern. Aber
entscheiden Sie selbst mit Hilfe des angehängten Bildes: Wollen Sie
die Verwirbelungen als logarithmische Spirale gelten lassen oder
nicht?

Jakob Bernoulli, ein großer Schweizer Mathematiker und Physiker,
nannte besagte Form "spira mirabilis", die "Wundersame Spirale". Für
ihn war diese Spirale eine mathematische Delikatesse und angeblich
fand er ihre Form so faszinierend, dass er in seinen Grabstein eine
logarithmische Spirale einarbeiten lassen wollte. Leider sollen die
Fähigkeiten (oder das Wissen?) des Steinmetzes so beschränkt gewesen
sein, dass er stattdessen eine sogenannte "Archimedische Spirale"
eingemeißelt hat - die in etwa die Form einer Bratwurstschnecke
aufweist.

Ob das nach Bernoullis Geschmack gewesen ist?


Dipl.-Met. Martin Jonas
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 19.10.2016

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