Thema des Tages
19-12-2022 16:20
Wissenschaft kompakt
Wenn eine geschichtsinteressierte Meteorologin Adventslieder hört?
Nur noch fünf Türchen am Adventskalender öffnen oder fünf Mal
schlafen und dann ist Heiligabend. Advent bedeutet so viel wie
"Ankunft", kann aber auch mit dem Erwarten auf Weihnachten
umschrieben werden. Es gibt vor allem im kirchlichen Umfeld viele
Lieder, die dieses Erwarten thematisieren. Im heutigen Thema des
Tages soll speziell das Lied "O Heiland, reiß die Himmel auf"
herausgegriffen werden. Dieses beinhaltet einige meteorologische
Motive.
Dennoch beschäftigt es sich recht wenig mit den meteorologischen
Gegebenheiten rund um das Weihnachtsfest (Wunschgedanke von
schneebedeckten Winterlandschaften) und hat seinen Ursprung in einer
doch recht düsteren Zeit, in der die Erwartung des Weihnachtsfestes
ein kurzer Lichtblick im grauen, vom Hunger geprägten und oftmals
kriegerischen Alltag darstellte.
Zum ersten Mal wurde das Lied 1622, also vor genau 400 Jahren,
veröffentlicht. Der Text stammt sehr wahrscheinlich vom Jesuiten
Friedrich Spee. Sehr wahrscheinlich deshalb, da der Text
Ähnlichkeiten zu einem Lied aus der "Trutznachtigall", einer Sammlung
von 52 lyrischen Gedichten und heute noch bekannten Kirchenliedern
der beiden großen Konfessionen, aufweist. Sehr schnell wurde das Lied
in katholische Liedersammlungen aufgenommen. In der evangelischen
Kirche sah man das Lied mehr als drei Jahrhunderte lang als
katholisches Adventslied, aber seit Mitte des 20. Jahrhunderts wird
es deutschlandweit in den Gottesdiensten beider Konfessionen gerne
gesungen.
Kunstgeschichtlich ist der Text eindeutig dem Barock zuzuordnen.
Typisch für Texte aus dieser Zeit sind die Motive Vanitas
(Vergänglichkeit alles Irdischen), Memento mori ("Gedenke, dass du
stirbst!") und Carpe diem ("Nutze den Tag!"). Vor allem aber war das
Lebensgefühl dieser Zeit geprägt von der Sehnsucht nach dem Erlöser
und einer besseren Zeit. Man kann sich sicherlich vorstellen, dass
diese Sehnsucht in der Adventszeit besonders groß war.
Es waren Jahrzehnte, die geprägt waren von Hunger, Seuchen und
kriegerischen Auseinandersetzungen wie dem Dreißigjährigen Krieg,
ausgelöst durch den Streit der beiden großen Konfessionen. Aber auch
Aberglaube spielte damals eine sehr große Rolle. Daher ist es wenig
verwunderlich, dass in dieser Zeit die Hexenverfolgungen in
Mitteleuropa ihren Höhepunkt erreichten. Friedrich Spee war einer der
vehementesten innerkirchlichen Kritiker der Hexenverfolgungen und
trug mit seiner anonym verfassten Schrift Cautio Criminalis zum Ende
dieser bei.
Vor diesem Hintergrund schrieb er den Text für "O Heiland, reiß die
Himmel auf", welches direkt mit einem Klageruf eingeleitet wird. Er
verarbeitete darin zahlreiche dynamische Verben und meteorologische
Motive.
Die ersten drei Strophen sind noch recht hoffnungsvoll geprägt. In
der ersten Strophe wird das Bild vom Aufreißen des Himmels mit dem
Öffnen von Toren und Türen verglichen. In der nächsten Strophe soll
sich Tau vom Himmel ergießen und die Wolken brechen und ausregnen.
Dies soll eine Verbindung zur Erde herstellen, die daraufhin
ausschlagen soll, sodass alles grün werde, Blumen hervorbringe und
somit die Welt errettet wird.
In den darauffolgenden drei Strophen werden eher tristen Bildern
hoffnungsvolle Szenerien entgegengestellt, in denen Trost und
Vertrauen anklingen sollen, ohne aber den Bezug zur Realität zu
verlieren. In der vierten Strophe wird Trost und Hoffnung für die
sich im Jammertal Befindlichen erbeten. In der nächsten Strophe soll
die Sonne/der Stern Licht in die Finsternis bringen. Und auch in der
letzten Strophe wird der größten Not, dem ewig Tod und dem Elend eine
starke Hand, die einen zu dem Vaterland führt, entgegengestellt,
sodass Vertrauen vermittelt wird.
Noch 400 Jahre später kann man anhand der meteorologischen Motive
genau verstehen, was der Autor ausdrücken wollte, selbst wenn der
Text sprachlich heute sicherlich anders formuliert werden würde. Auch
in anderen Gedichten und Liedern wurden und werden gerne
meteorologische Motive verwendet. Beim genauen Hinhören wird man
sicherlich vieler solcher Motive begegnen. In anderen Advents- und
Weihnachtsliedern ist es beispielsweise die oben erwähnte Hoffnung
auf eine schneebedeckte Landschaft. Im hier beschriebenen Beispiel
sind die Motive wiederum mehr als Metapher zu verstehen. Summa
summarum lohnt es sich also, sich mit so manchem Liedtext und den
Hintergründen genauer zu beschäftigen.
Nimmt man zumindest den Titel des Liedes wörtlich, so wird es in den
meisten Regionen Deutschlands bei dem Wunschgedanken bleiben. Der
Himmel zeigt sich in den kommenden Tagen meist bedeckt und von einem
Aufreißen des Himmels kann meist leider nicht die Rede sein.
M.Sc. Tanja Sauter
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 19.12.2022
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