Thema des Tages

23-09-2022 13:20


Wissenschaft kompakt
Die akkumulierte Energie tropischer Wirbelstürme


Jedes Jahr entwickeln sich über den tropischen Ozeanen mal mehr, mal
weniger Tropenstürme. Entsprechende Vorhersagen geben Monate zuvor
bereits einen Einblick, wie aktiv die zu erwartende Saison werden
soll. Doch wie kann man die jeweiligen jährlichen Tropensturmsaisons
vergleichen? Richtet man sich nach der Anzahl der Stürme oder nach
deren Intensität?


Wie jeden Sommer richten viele Meteorologen ihre Augen auf die
tropischen Meere, denn dort brodelt es zu bestimmten Zeiten des
Jahres, wenn sich die förderlichen Zutaten für die
Tropensturmentwicklung wie warmes Meerwasser, schwache
Windgeschwindigkeitsänderung mit der Höhe (Windscherung) und eine
feuchte Troposphäre überlappen. Diese Zeiträume mit dem Großteil der
Aktivität sind z.B. der 1. Juni bis zum 30. November im Nordatlantik,
der 15. Mai bis zum 30. September im östlichen Pazifik (ab dem 1.
Juni im Zentralpazifik) bzw. das ganze Jahr über im westlichen
Pazifik, um nur einige Beispiele zu nennen.

Früh werden die ersten Vorhersagen im Jahr erstellt, wie aktiv oder
inaktiv eine Tropensturmsaison im jeweiligen Seegebiet ausfallen
soll. Doch nach welcher Maßzahl richtet man sich da? Wie genau können
die jeweiligen saisonalen Aktivitäten miteinander verglichen werden?
Im Folgenden konzentrieren wir uns auf den Nordatlantik, der im
Hoheitsgebiet des National Hurricane Center liegt, wo alle
Vorhersagen und Warnungen bezüglich zu erwartender oder aktiver
Tropenstürme vorbereitet und letztendlich auch ausgegeben werden.

Die eine Möglichkeit ist, die Anzahl der tropischen Systeme von Jahr
zu Jahr miteinander zu vergleichen und darauf basierend die
Vorhersagen zu erstellen. Dazu wird ein laufendes 30- jähriges Mittel
der jeweiligen tropischen Aktivität verwendet, momentan der Zeitraum
von 1991 bis 2020. Während dieser Zeit traten im Mittel 14,4 benannte
Tropenstürme auf (also Tiefdruckgebiete, die durch Konvektion
angetrieben beständige Windgeschwindigkeiten in 10 m Höhe von mehr
als 63 km/h aufweisen), 7,2 Hurrikane (Windgeschwindigkeiten von mehr
als 119 km/h) sowie 3,2 sogenannte "major" Hurrikane. Von einem
solchen spricht man bei Windgeschwindigkeiten von mehr als 179 km/h
im 10-minütigen Mittel. An Hand dieser Werte wird nun eine saisonale
Vorhersage abgeglichen und eingestuft.

Im Mai ließ die erste Vorhersage der NOAA verlauten, dass diese
Hurrikansaison mit einer Wahrscheinlichkeit von 70% zu aktiv
ausfallen würde, wobei dieser Wert im August während eines Updates
auf 60% verringert wurde. In Werten ausgedrückt erwartete man im Mai,
dass sich in der aktuellen Saison 14 bis 20 benannte Stürme, 6 bis 10
Hurrikane und 3 bis 5 "major" Hurrikane entwickeln würden.
Doch es gibt auch eine andere Möglichkeit, ein Maß für die saisonale
Aktivität zu erstellen, und zwar mit dem sogenannten "akkumulierten
zyklonalen Energieindex", auf Englisch "accumulated cyclone energy
index, ACE".

Beim ACE handelt es sich um einen sogenannten Windenergieindex, der
definiert wird als die Summe des maximal auftretenden
Oberflächenwindes im Quadrat. Dieser Wert wird alle 6 Stunden für
alle benannten Stürme ermittelt, während sie mindestens die Stärke
eines Tropensturms innehaben (geteilt durch 10 000, um den Index
besser lesen zu können und mit der Einheit Knoten hoch zwei, wobei
die Einheit in der Folge weggelassen wird). Damit wird also sowohl
die Intensität als auch die Dauer des Sturmes berücksichtigt. Ein
langlebiger intensiver Hurrikan kann den Wert daher innerhalb weniger
Tage deutlich in die Höhe treiben, während mehrere schwache und
kurzlebige Systeme ins Gewicht fallen. Mit dieser Berechnung erhält
man für die Saison von 1991 bis 2020 einen Mittelwert von 122.
Allerdings fielen in diesen Zeitraum sehr viele aktive Saisons,
sodass des besseren Vergleichs wegen der Zeitraum von 1951 bis 2002
mit 96,7 bevorzugt wird. Richtet man sich nach diesem Wert, dann
spricht man von einer extrem aktiven Saison, wenn der ACE den Wert
von 160 überschreitet. Bei einem Wert von mehr als 126 spricht man
von einer aktiven (über dem Durchschnitt liegend), bei 73 von einer
unterdurchschnittlichen und zwischen 73 und 126 von einer nahezu
normalen Saison.

Und wo stehen wir denn momentan im Nordatlantik? Der Eindruck war
bisher, dass wir mit dem Tropensturm ALEX, BONNIE, COLIN sowie den
Hurrikanen DANIELLE und EARL einen eher gemäßigten Saisonbeginn
hatten. In der Tat lag der ACE bis zur Entstehung von DANIELLE am 1.
September mit 3.5 bei rund 10% des klimatologischen ACE-Wertes. Der
Grund dafür war einerseits die leicht unterdurchschnittliche Anzahl
von Tropenstürmen bis zum 1. September und dass die auftretenden
Stürme recht kurzlebige und schwache Systeme waren. Mit den beiden
"Fischstürmen" DANIELLE und EARL, also Tropenstürmen, die nur über
dem offenen Ozean tobten, nahm der ACE rasch auf knapp 30 zu, was
rund 53% des normalen klimatologischen Mittels entspricht (beide
waren Hurrikane).

Man kann sich aber auch den ACE der jeweiligen Stürme ausrechnen.
Hurrikan DANIELLE wurde z.B: für 7,25 Tage als benanntes System
geführt, 5 Tage davon als Hurrikan und dabei erzeugte er einen ACE
von 12,5. Hurrikan EARL kam auf 7,75 Tage, nur 3,75 Tage als
Hurrikan, wies jedoch höhere Spitzengeschwindigkeiten auf und
erzielte dabei einen ACE von 14,2. ALEX, BONNIE und COLIN kamen
zusammen hingegen bis dahin nur auf einen akkumulierten Wert von 2,9!


Mit FIONA, dem aktuell aktiven Hurrikan, erhielt der ACE während der
letzten Tage einen deutlichen Schub nach oben, da FIONA ein
langlebiger und sehr kräftiger Hurrikan ist (in Spitzenzeiten wurde
die zweithöchste Intensitätsstufe von Fünf erreicht). Damit die
saisonalen Vorhersagen auch erfüllt werden, muss der Wert von 126
erreicht und überschritten werden ? mal schauen, was der Rest der
Saison noch mit sich bringt. Stand vorgestern liegen wir bei 67% des
klimatologischen ACE-Wertes.

Im bisher sehr aktiven Nordpazifik liegt der ACE bis heute bei einem
prozentualen Wert von 93%, im Nordwestpazifik bei rund 66% und über
die gesamte Nordhemisphäre gemittelt (zusammen mit dem nordindischen
Ozean) bei rund 74%.

Wie stark ein Sturm den ACE beeinflussen kann, zeigte vom 28. August
bis 9. Juni 2022 der Supertaifun HINNAMNOR im Nordwestpazifik, der
die höchste Stufe auf der fünfteiligen Intensitätsskala erreichte und
den prozentualen ACE-Wert im Nordwestpazifik von 29% auf 53% anhob
(eine Differenz von 24%).

Übrigens, den Weltrekord des höchsten ACE-Wertes für einen Sturm hält
der Hurrikan/Taifun IOKE aus dem Jahr 2006 mit einem Wert von 82 und
der höchste akkumulierte ACE-Wert stammt aus der nordpazifischen
Taifunsaison des Jahres 1997 mit einem unglaublichen Wert von 571.



Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 23.09.2022

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