Thema des Tages
20-05-2022 12:20
Ausblick auf die Hurrikansaison 2022
Nach einer sehr aktiven und weit überdurchschnittlichen
Hurrikansaison im vergangenen Jahr wird auch für 2022 die siebte
überdurchschnittliche Saison in Folge erwartet. Im heutigen Thema des
Tages schauen wir auf die aktuellen Prognosen.
Tropische Wirbelstürme bilden sich im Bereich des Atlantischen Ozeans
üblicherweise zwischen Anfang Juni und Ende November, weswegen die
Dauer der atlantischen Hurrikansaison vom National Hurricane Center
(NHC) der USA den Zeitraum vom 1. Juni bis 30. November festgelegt
wurde. Der offizielle Beginn nähert sich daher mit großen Schritten.
Eine subtropische oder tropische Zyklogenese ist jedoch jederzeit
möglich, wie in der Saison 2021, als sich der Tropensturm Ana am 22.
Mai formierte. 2021 war gar das siebte Jahr in Folge, in dem sich ein
Sturm schon vor dem vorgesehenen Saisonbeginn bildete.
Die ersten saisonalen Vorhersagen für die diesjährige Hurrikansaison
wurden im April veröffentlicht. Die Prognosen der Colorado State
University gehen von einer weiteren aktiven und somit arbeitsreichen
Sturmsaison in den tropischen Regionen des Atlantiks aus. Das würde
bedeuten, dass 2022 das siebte Jahr in Folge sein wird, in dem die
Aktivität der tropischen Wirbelstürme im Atlantik und in der Karibik
überdurchschnittlich hoch sein wird. Im langfristigen Durchschnitt
bringt eine Wirbelsturmsaison normalerweise 14 benannte Stürme, davon
sieben Hurrikans, von denen wiederum drei eine größere Intensität
(Kategorie 3 oder höher) erreichen. Zur Erinnerung: Die
Wirbelsturmaktivität 2021 brachte hingegen 21 Stürme und 7 Hurrikane
hervor, wovon sich wiederum 4 (Grace, Ida, Larry und Sam) zu schweren
Hurrikane mauserten. Den Prognosen der Colorado State University nach
könnte die atlantische Hurrikansaison 2022 mit etwa 19 benannten
tropischen Systemen verlaufen. Daraus wiederum könnten 9 zu Hurrikane
und davon wiederum 4 zu schweren Hurrikane heranreifen.
Ein Hauptgrund für die erwartete rege Tätigkeit wird ähnlich wie in
den Jahren 2020 und 2021 in dem sich voraussichtlich im Sommer an
Stärke gewinnenden La Nina Phänomen gesehen. La Nina ist ein Teil des
großräumigen Zirkulationssystems El Nino Southern Oscillation (kurz:
ENSO; siehe https:/t1p.de/2djh) über dem östlichen tropischen
Pazifik. Jenes System wechselt zwischen kalten und warmen Phasen. Die
tropischen Passatwinde (das sind die östlichen Winde, die die Erde in
der Nähe des Äquators umkreisen) lösen in der Regel eine bestimmte
Phase aus oder beenden sie, da sie das oberflächennahe Wasser des
Ozeans vermischen und die Meeresströmungen verändern. Die periodische
Abkühlung der tropischen Ozeane des Ost- und Zentralpazifiks wird als
La Nina bezeichnet. Das Gegenteil, die warme Phase, wird als El Nino
bezeichnet. Jede dieser beiden ENSO-Phasen hat einen anderen Einfluss
auf das tropische Wetter und auch darüber hinaus.
Apropos Einfluss auf die Hurrikansaison im Atlantikbecken: La Nina
ist nicht nur förderlich für eine regere Sturmsaison, sondern auch
für intensivere, größere Hurrikane der Kategorie 3 oder höher. Dies
ist darauf zurückzuführen, dass die vertikale Windscherung
(Richtungs- und Geschwindigkeitsänderung mit der Höhe) geringer ist
und die Atmosphäre instabiler ist. Im Gegensatz dazu entwickeln sich
im östlichen Pazifik weniger Hurrikane, da hier eine stärkere
Windscherung herrscht.
Förderlich für die diesjährige Wirbelsturmaktivität sind auch die
bereits in weiten Teilen der tropischen Regionen des Mittel- und
Westatlantiks aktuell wärmeren Meeresoberflächentemperaturen im
Vergleich zum Mittel, insbesondere in der Golfregion und in der
Karibik (siehe Abbildung der Anomalien der
Meeresoberflächentemperaturen im Atlantik). Ein großer Teil des Golfs
von Mexiko ist sogar viel wärmer als im Durchschnitt, weshalb sehr
viel Feuchtigkeit in die Great Plains und den Mittleren Westen
vordringt, was in letzter Zeit zu Unwettern geführt hat. Dieser
Zustand entspricht genau dem, was normalerweise vor einer aktiven
atlantischen Hurrikansaison zu beobachten ist. Die Prognosen gehen
zudem davon aus, dass in diesen Gewässern von August bis Oktober
annähernd normale bis überdurchschnittliche hohe Meerestemperaturen
erwartet werden. Dieser Umstand würde während des Höhepunkts der
Hurrikansaison von Mitte/Ende August bis in den September hinein
tropische Entwicklungen bedeutend unterstützen.
Für die Prognose der tropischen Sturmsaison gilt es auch die Augen
auf das Wetter in Westafrika zu richten. Dort entstehen die
tropischen Wellen, die in den östlichen Atlantik auslaufen. Fast 85%
dieser Wellen führen zu organisierter Konvektion über dem
Atlantischen Ozean, die sich zu tropischen Tiefdruckgebieten oder
Stürmen weiterentwickeln. Auch in diesem Jahr werden für Westafrika
starke Winde vorhergesagt, so dass mit einer Reihe von tropischen
Wellen zu rechnen ist, die nach Westen ziehen.
Einer der auffälligsten Teile der saisonalen Vorhersage für die
bevorstehende Hurrikansaison ist die weit über 70 prozentige
Wahrscheinlichkeit, dass ein großer Hurrikan an der Küste der
Vereinigten Staaten sowie in der Karibik landet. Man bedenke, dass in
einer typischen Saison die Wahrscheinlichkeit, dass das US-Festland
getroffen wird, etwa 50 Prozent beträgt. Bleibt also zu hoffen, dass
so viele Wirbelstürme wie möglich über Wasser bleiben, fernab von
bewohnten Gebieten.
M.Sc.-Met. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 20.05.2022
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