Thema des Tages
06-11-2021 10:50
Stratosphärischer Polarwirbel erneut im Fokus
Der nahende Winter und damit einhergehende Prognosen werden oft in
Zusammenhang gebracht mit dem Zustand des Stratosphärischen
Polarwirbels (SPV). Status quo und ein möglicher Ausblick sollen kurz
gegeben werden.
Zunächst wird auf die Themen des Tages vom 10. und 14.01.2021
verwiesen, wo wesentliche Grundlagen und Auswirkungen von plötzlichen
Stratosphärenerwärmungen (SSW) bereits hinreichend erläutert wurden
(https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/1/10.html und
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/1/14.html).
So, nun können wir direkt einsteigen in die Materie. Auf der
beiliegenden Grafik (siehe auch Erläuterungen darunter in Englisch)
ist der zonal gemittelte (auf 60 Grad Nord) zonale Wind in 10 hPa (in
ca. 31 km Höhe) aktuell und als Prognose des Ensemble-Forecast-System
des EZMWF in Reading dargestellt. Wichtig hierbei sind einerseits
negative Werte des zonalen Windes (kleiner 0, unten). Letzteres würde
vollständige Windumkehr auf östliche Winde in diesem Bereich der
Stratosphäre (Definition eines Major SSW) bedeuten. Andererseits
stellt die dicke rote Linie in der Grafik das vieljährige
klimatologische des zonal gemittelten zonalen Windes und die dicke
blaue Linie die aktuelle Prognose für das so genannte ensemble mean
dar, während die dünnen blauen Linien die einzelnen Member des
Vorhersagesystems EZMWF repräsentieren.
Klar zu erkennen ist nach der vorübergehenden Schwächung des SPV im
Oktober ein deutlicher Aufwärtstrend (Regenerierung) des SPV sogar
über das vieljährige Mittel hinaus. Danach bleibt der SPV bis in die
erste Dezemberdekade hinein stabil in der Nähe der vieljährigen
klimatologischen Mittelwerte (das Vorhersagemodell GFS des
amerikanischen Wetterdienstes hat im Übrigen ähnliche Prognosen (hier
nicht gezeigt)). Erst danach finden wir auch nicht wenige Member im
unteren Bereich (abschwächende Westwinde).
Abschwächende Westwinde oder gar Umkehr auf Ostwinde in der mittleren
und oberen Stratosphäre (verbunden mit starker Erwärmung) führt über
die Stratopshären-Troposhären-Kopplung im weiteren Verlauf zur
Tendenz hohen Luftdrucks im Arktisumfeld. In der Tat favorisieren
aktuelle saisonale Prognosen des EZMWF (Stand: 01.11.2021) für die
Monate Dezember 21 und Januar 22 einen negativen Index der Arktischen
und Nordatlantischen Oszillation (d.h. NAO bzw. AO negativ). Dies
könnte ein Ausfließen arktischer Luftmassen weit nach Süden (südwärts
verschobene Frontalzone) im atlantisch-europäischen Raum bedeuten,
aber mit Hinblick auf die zitierten TdT soll weiterhin der Konjunktiv
verwendet werden. Zum jetzigen Zeitpunkt ist natürlich überhaupt
nicht klar, mit welcher Form von Störung oder gar Zusammenbruch des
SPV zu rechnen ist. Zudem gehen die weiterführenden saisonalen
Prognosen des EZMWF für die Monate Februar und März 2022 von einem
eher starken Umschwung zu NAO positiv aus, was wiederum milderen
atlantischen Einfluss für Mitteleuropa zur Folge haben könnte.
In der Fachliteratur liest man in diesem Zusammenhang häufig von
einer early (frühen) Störung des SPV, die meist von einer
Regenerierungsphase gefolgt wird (siehe aktuell Oktoberstörung und
Novemberverstärkung des SPV). Physikalisch lässt sich dieser Umstand
vereinfacht gesagt damit erklären, dass nach einer markanten Störung
bzw. Zusammenbruch des SPV durch starke vertikale Wellenflüsse (meist
troposphärischen Ursprungs) letztere in der Folge deutlich
nachlassen, da dann ja in der mittleren und oberen (arktischen)
Stratosphäre zonal gemittelt Ostwinde vorherrschen, die von den
vorherrschenden Westwinden in der Troposphäre dynamisch abgekoppelt
sind. Aus diesem Grund ist u.a. die Wellenausbreitung in die
Stratosphäre dann vorübergehend deutlich schwächer. Diese
physikalischen Prozesse erkennen die Modellvorhersagen (erweiterte
Mittelfrist und teils auch saisonal) mittlerweile recht gut.
Wobei wir nun aber bereits bei den anderen Faktoren angelangt sind,
die zu einer frühen Störung oder gar zu einem Major SSW in diesem
Winterhalbjahr führen könnten. Zum einen wäre da als globale
(stratosphärische) Telekonnektion die Quasi-Biennale-Oscillation
(QBO, äquatoriale Stratosphäre) zu nennen, die sich aktuell in der
östlichen Phase befindet (siehe:
https://acd-ext.gsfc.nasa.gov/Data_services/met/qbo/qbo.html). In der
Fachliteratur wird ein relativ starker Zusammenhang zwischen
östlicher QBO und nachfolgender Schwächung des SPV angegeben. In
Vorhersagemodellen mit guter Stratosphärenauflösung dient allerdings
als Referenzwert der östliche Wind auf 50 hPa als gute Korrelation
für eine Schwächung des SPV. Auf 50 hPa ist der zonale Wind
allerdings derzeit noch westlich (siehe Link QBO) und soll laut
Prognose erst im Dezember auf Ost umkehren (so genannte absinkende
Ostphase). Erst dann würden auch die Modelle noch stärker darauf
anspringen. Eine weitere globale Telekonnnektion ist ENSO (EL Ninjo
Southern Oscillation), wobei dort zum wiederholten Male eine La Ninja
aufkommt.
Kombinationen von La Ninja und östlicher QBO führen statistisch
gesehen durch regional verstärkte vertikale Wellenflüsse in
bestimmten Bereichen der nördlichen Hemisphäre oft zu erheblichen
Schwächungen oder gar Zusammenbrüchen des SPV.
Apropos Statistik - einige saisonale Vorhersagemodelle nutzen so
genannte Prädiktoren zur Wintervorhersage. Dort gehen neben dem
beschriebenen zonal gemittelten zonalen Wind (in 60 Grad Nord und 10
hPa) auch Faktoren wie Schneebedeckung im November in Sibirien (oder
auch Eurasian Snow Cover genannt), Arktiseisausdehnung,
Meeresoberflächentemperaturen in bestimmten Bereichen von Atlantik
und Pazifik (SST), Novembertemperatur der Stratosphäre in 10 hPa oder
auch regionale bzw. zonal gemittelte Wellenflüsse in der unteren
Stratosphäre (bei 100 hPa) ein (teils noch in der Planung). Die Idee
dahinter sind statistische Korrelationen (auch aus vieljährigen
klimatologischen Daten) mit dem zu erwartenden Zustand des SPV sowie
der nordhemisphärischen Winterzirkulation. Aufgrund der dargestellten
Komplexität gilt aber auch hier der Verweis auf kurz- und
mittelfristige Änderungen mit entsprechendem Feedback auf die
atmosphärische Zirkulation.
Der kurze Abriss sollte vor allem die vielfältigen Zusammenhänge und
Wechselwirkungen der Prozesse darstellen. Daraus kann in gar keinem
Falle eine Prognose oder auch Wintertrend abgeleitet werden. Der
Autor würde dies eher als Zusammenschau diverser Faktoren mit
unterschiedlichem (möglichen) Impact betrachtet wissen und darauf
hinweisen, dass diese Darstellung bei Weitem nicht den Anspruch auf
Vollständigkeit besitzt.
Dipl.-Met. Dr. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 06.11.2021
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